19.09.2022
Bericht

Von der Vorbereitungsklasse in den Regelunterricht – wie sprachliche Förderung in den Übergängen gelingt. Bericht und Materialien zum Symposium

Der verstärkte Zuzug minderjähriger Personen nach Deutschland hat zu einem intensivierten wissenschaftlichen und didaktischen Diskurs über die schulische Situation dieser jungen Menschen geführt. Die Aufnahme von neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen in den Schulen wird unterschiedlich gestaltet und insbesondere die Integration in den Regelunterricht stellt eine große Herausforderung dar. Wie funktioniert die Einbindung neu zugewanderter Schülerinnen und Schüler in das Schulsystem? Welche Angebote sind hilfreich und wie gelingt der Übergang von der Vorbereitungsklasse in den Regelunterricht aus Sicht der Lehrkräfte? Diesen Fragen widmeten sich die Teilnehmenden eines parallelen Formats auf der Jahrestagung des Mercator-Instituts im Juni 2022.

Im Symposium Von der Vorbereitungsklasse in den Regelunterricht – wie sprachliche Förderung in Übergängen gelingt wurde zunächst in zwei Vorträgen erfasst, wie die Einbindung neu zugewanderter Schülerinnen und Schüler in das Schulsystem funktioniert und welche Angebote diese in der Übergangsphase gewinnbringend für sich nutzen können.

Im Spannungsfeld von Inklusion und notwendiger Sprachförderung: Kinder in Vorbereitungsklassen in der Grundschule

Prof.‘in Dr. Hanna Sauerborn von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg stellte in ihrem Vortrag unterschiedliche Formen der Unterrichtsorganisation (submersiv, integrativ, teilintegrativ, parallel) vor. Über die Effektivität der vier Beschulungsmodelle liegen noch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse vor. Es ist aber davon auszugehen, dass Kinder ohne ausreichende Förderung in Regelklassen (submersives Modell) nur in Ausnahmefällen schulisch erfolgreich sein werden. Um Schülerinnen und Schüler in Regelklassen nicht zu überfordern, nutzen Schulen unter anderem die Vorteile, die die Vorbereitungsklassen oder additive Förderstunden bieten: in einem geschützten Raum werden die Grundlagen für den Erwerb der deutschen Sprache gelegt. Wichtig ist dabei in jedem Fall, dass Lehrkräfte keine defizitorientierte Sichtweise auf Kinder mit geringen Sprachkenntnissen im Deutschen entwickeln, sondern deren Kompetenzen in den Herkunftssprachen für den Spracherwerb in der Zielsprache nutzen.  

Hanna Sauerborn formulierte auf der Grundlage von Forschungsergebnissen theoriebasierte Empfehlungen und illustrierte diese anhand einer Unterrichtseinheit im Fach Deutsch, bei der neu zugewanderte Kinder in der Regelklasse passende sprachliche Förderung erhielten und so ihren Lernerfolg mit dem Gefühl der Zugehörigkeit zur Klassengemeinschaft verbinden konnten. Am Ende ihres Vortrags plädierte Sauerborn für notwendige Verbesserungen der Rahmenbedingungen in den Schulen, für mehr personelle Ressourcen, für mehr Qualifizierung aller Lehrkräfte und für eine engere Zusammenarbeit mit den Eltern neu zugewanderter Schulkinder.

Vorbereitungs- und Regelklasse verbinden

Jun.-Prof.’in Dr. Nora von Dewitz, die am Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache der Universität zu Köln tätig ist, referierte in ihrem Vortrag über die Ergebnisse im Projekt VeRbinden: Übergänge von Vorbereitungs- in Regelklassen. In Interviews mit Lehrkräften aus Vorbereitungsklassen der Sekundarstufe I ging das Projektteam in den Jahren 2018 bis 2020 der Frage nach, wie der Übergang aus Vorbereitungsklassen in Regelklassen vorbereitet, gestaltet und begleitet wird. Für gelungen halten die Lehrkräfte den Übergang, wenn sich bei den Kindern und Jugendlichen im Regelunterricht schulischer Erfolg und soziale Integration einstellt. Als hilfreich empfinden die befragten Lehrkräfte die partielle Teilnahme der Lernenden am Unterricht einer Regelklasse von Anfang an, die Vorbereitung auf die zu erwartenden bildungs- und fachsprachlichen Anforderungen, den Austausch zwischen den Lehrkräften und die Weitergabe von Informationen über die Schülerinnen und Schüler an das aufnehmende Klassenteam, die Anschlussförderung durch sprachsensiblen Fachunterricht sowie die Unterstützung durch Schulsozialarbeit.

Übergang in den Regelunterricht aus der Perspektive der Lehrkräfte

Im Anschluss an die Vorträge diskutierten die Referentinnen in einem Round-Table-Gespräch gemeinsam mit Joanna Schramm, Lehrerin an der Katholischen Grundschule Heßhofstraße in Köln, sowie Rena Dimitriadou, Lehrerin an der Gesamtschule Heinsberg-Waldfeucht, über die Frage, wie der Übergang von der Vorbereitungsklasse in den Regelunterricht aus der Perspektive von Lehrkräften erfolgt und unter welchen Bedingungen er gelingen kann. Dabei stand vor allem die Frage nach den Kooperationsmöglichkeiten zwischen den beteiligten Lehrkräften im Fokus. Unter Einbezug des Publikums wurden in diesem Round-Table-Gespräch folgende Themen vertieft:

  • praktische Herausforderungen bei der Einbindung von neu zugewanderten Schülerinnen und Schülern an den Schulen
  • Möglichkeiten der Erfassung von Sprachkompetenzen von neu zugewanderten Schülerinnen und Schülern
  • Voraussetzungen für einen gelingenden Übergang aus der Perspektive der Lehrkräfte
  • Angebote für neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler am Übergang aus der Vorbereitungsklasse in die Regelklasse
  • Besonderheiten bei der Aufnahme von Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine sowie
  • Forschungsdesiderata im Bereich der Beschulung von neu zugewanderten Schülerinnen und Schülern.

Mit großer Übereinstimmung kamen die Vortragenden und Teilnehmenden zu dem Ergebnis, dass die Herausforderungen, denen die Lehrkräfte begegnen, nur durch ein besonderes Engagement zu bewältigen sind. Diese Situation ist durch einen Zielkonflikt gekennzeichnet: Soll einem systematischen Sprachunterricht (im abgesonderten Unterricht) oder der Integration der Lernenden in einen Klassenverband der Vorzug gegeben werden? Herausfordernd ist der Unterricht zum einen, weil die Schülerschaft sehr heterogen ist – beispielsweise mit Blick auf die Deutschkenntnisse (Wortschatz, Grammatik, Schriftkompetenz) und Schulerfahrung – und zum anderern, weil es eine hohe Fluktuation in den Lerngruppen gibt. Daher ist die Lernstandsbestimmung jeder einzelnen Schülerin und jedes einzelnen Schülers sowie die sich daran anschließende passgenaue Förderung im binnendifferenzierten Unterricht besonders zentral. Hierfür stehen im Bereich der Sekundarstufe I mittlerweile zahlreiche Lehrwerke und Unterrichtsmaterialien zur Verfügung. Speziell für die Grundschule entwickelte didaktische Konzepte zu den Aufgabenfeldern Wortschatz, Aussprache, Grammatik, Alphabetisierung und Zweitschrifterwerb sowie Lesen und Schreiben sind dagegen noch rar.

Autorin und Autor:

Dr. Teresa Barberio ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache und leitet dort das Forschungsprojekt Sprachkompetenzen neu zugewanderter Schülerinnen und Schüler im Regelunterricht.

Dr. Peter Weber ist als teilabgeordneter Lehrer am Mercator-Institut zuständig für das Unterstützungsangebot Sprachliche Bildung in mehrsprachigen Klassen, das sich an Grundschullehrkräfte im Regierungsbezirk Köln wendet.