19.09.2022
Bericht

Sprachliches und fachliches Lernen vernetzen – die Idee des sprachsensiblen Fachunterrichts. Bericht und Materialien zum Symposium

Sprachliches und fachliches Lernen sind untrennbar miteinander verbunden. Die verschiedenen Konzepte und Ansätze des sprachsensiblen Unterrichts, der beides miteinander verknüpft, und seine Wirksamkeit standen im Fokus eines Symposiums auf der neunten Jahrestagung des Mercator-Instituts im Juni 2022.

Sprachliches Lernen findet nicht nur in den sprachlichen Fächern statt – und Lernen in den Fächern kommt ohne Sprache nicht aus. Vor diesem Hintergrund sind seit einigen Jahrzehnten weltweit und in unterschiedlichen Disziplinen Konzepte entstanden, die sprachliches und fachliches Lernen miteinander verbinden. Seit den 2000er Jahren geschieht dies oft unter dem Label der durchgängigen Sprachbildung, bei der das Konzept des sprachsensiblen oder sprachbewussten Unterrichts eine wichtige Rolle spielt. Zu den wesentlichen Zielen dieser Ansätze gehören die Vermittlung der Bildungssprache und die Förderung des fachlichen Lernens. Allerdings unterscheiden sich die verschiedenen Ansätze und Konzepte z. T. erheblich. Dabei kann der Fokus sowohl auf der Entwicklung aller sprachlichen Fertigkeiten und Fähigkeiten liegen oder auch nur einzelne Aspekte adressieren, nämlich (Fach-)Wortschatz, Lesen, Schreiben oder die Mündlichkeit. Bekannte Vertreter dieser Konzepte sind etwa SIOP, Scaffolding, der dialogic approach oder auch Translanguaging. Die Vielfalt der Ansätze in Zielsetzung und Methodik erschwert einen empirischen Vergleich ihrer Wirksamkeit; aus diesem Grund gibt es bislang auch noch keine übergreifenden vergleichenden Studien zu den unterschiedlichen Ansätzen.

Im Mittelpunkt des Symposiums Sprachliches und fachliches Lernen vernetzen – die Idee des sprachsensiblen Fachunterrichts auf der neunten Jahrestagung des Mercator-Instituts standen daher folgende Fragen, die die Teilnehmenden basierend auf vier Beiträgen gemeinsam diskutierten:

  • Über welche bildungssprachlichen Kompetenzen müssen Lernende verfügen, um dem (Fach-)Unterricht folgen zu können und wie können diese Kompetenzen bei Lernenden erhoben werden?
  • Wie kann in den Sachfächern über die Textproduktion das fachliche Lernen gefördert werden?
  • Wie müssen Texte und Aufgaben in den Sachfächern gestaltet sein, damit Lernen mit Texten gelingen kann?
  • Wie sieht der internationale Forschungsstand zum sprachsensiblen Unterricht aus und was ist empirisch über seine Wirksamkeit bekannt?

Erfassung bildungssprachlicher Kompetenzen

Die erste Referentin des Symposiums, Dr. Birgit Heppt vom Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), stellte in ihrem Beitrag mit BiSpra 2-4 einen standardisierten und normierten Test vor, mit dem sich verschiedene Facetten des bildungssprachlichen Verständnisses von Grundschulkindern erfassen lassen. BiSpra 2-4 erhebt das Verständnis bildungssprachlich anspruchsvoller Hörtexte (BiSpra-Text), das Verständnis bildungssprachlicher Satzverbindungen mit Konnektoren (BiSpra-Satz) und das allgemeine bildungssprachliche Wortverständnis (BiSpra-Wort). Der Test verfügt über getrennte Vergleichswerte für monolingual deutschsprachige Kinder, für bilingual aufwachsende Kinder und für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache. Im Vortrag präsentierte Birgit Heppt die Ergebnisse zur Validierung und berichtete über Zusammenhänge mit weiteren schulbezogenen Kompetenzen (Lesen und Mathematik). Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass BiSpra 2-4 spezifische sprachliche Fähigkeiten erfasst, die für den schulischen Kompetenzerwerb eine wichtige Rolle spielen. Der vorgestellte Test schließt damit eine Lücke im Bereich der bildungssprachlichen Diagnostik, da bisher kaum Verfahren vorliegen, die sich zur Erfassung bildungssprachlicher Kompetenzen eignen.

Förderung produktiver und rezeptiver Fertigkeiten im Fachunterricht

Dr. Cana Bayrak von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster befasste sich in ihrem Vortrag mit möglichen Unterstützungsmaßnahmen für das Schreiben von Versuchsprotokollen im Chemieunterricht. Hintergrund ist, dass dies Schülerinnen und Schüler aber auch Lehramtsstudierende immer wieder vor große Herausforderungen stellt. Cana Bayrak präsentierte ein Schreibförderinstrument explizit für die Textart Versuchsprotokoll (Protokollchecker), das die sukzessive Erarbeitung der relevanten Textmerkmale sowie die feedbackgestützte Überarbeitung der eigenen Versuchsprotokolle sowohl für Lehramtsstudierende während des Chemiestudiums aber auch für Schülerinnen und Schüler im Chemieunterricht ermöglicht. Die Wirksamkeit des Instruments wurde in einer empirischen Studie nachgewiesen.

Fachliches Wissen wird in der Sekundarstufe I in hohem Maß mithilfe von Texten vermittelt und angeeignet. Gleichzeitig übersteigen die Anforderungen, die fachspezifische Schulbuchtexte an die literalen Kompetenzen von Schülerinnen und Schüler stellen, jedoch häufig die vorhandenen Fähigkeiten. Diese Problematik war Grundlage des Vortrags von Prof. Dr. Claudia Schmellentin (Fachhochschule Nordwestschweiz). Vor dem Hintergrund der Anforderungen in Aufgaben und Lehrwerken diskutierte sie – unter Einbezug der teils erst spärlichen und durchaus auch sehr heterogenen empirischen Erkenntnisse – die Möglichkeiten und Grenzen von text- und schülerseitigen Maßnahmen, die das Lesen und Textverstehen unterstützen sollen. Dabei stellte sie ein eigenes Projekt vor, dass nicht textseitige, sondern aufgabenseitige Maßnahmen in den Mittelpunkt stellt und die Wirksamkeit einer (lese-)didaktischen Strukturierung des Leseprozesses durch Aufgaben im Fachunterricht untersucht.

Zur Wirksamkeit didaktisch-methodischer Ansätze sprachsensiblen Unterrichts

Das Symposium schloss mit einem Beitrag von Dr. Martha Höfler, Leonie Twente, Dr. Tetyana Vasylyeva und Dr. Till Woerfel vom Mercator-Institut ab. Das Projektteam thematisierte die bisher ungeklärte Frage, ob sprachsensible Unterrichtskonzepte nachweislich die sprachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten von Schülerinnen und Schülern und damit das fachliche Lernen verbessern. Sie berichteten aus einer nun abgeschlossenen systematischen Überblicksstudie am Mercator-Institut, in der aus 3016 Dokumenten in einem zweistufigen Screeningverfahren gezielt mehr als 50 Wirkungsstudien zu sprachlichen Ansätzen identifiziert und die Qualität ihrer Befunde bewertet wurde. Die Ergebnisse liefern ein umfassendes Bild des internationalen Forschungsstandes und weisen die Wirksamkeit bestimmter sprachsensibler Maßnahmen nach.

Autorin und Autor:

Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek ist Professor für deutsche Sprache und ihre Didaktik an der Universität zu Köln und Direktor des Mercator-Instituts.

Dr. Sabine Stephany ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Mercator-Institut und Leiterin des Projekts Die Schreibstarken.