05.08.2020
Material

Sprachliches Lernen digital: Sprachsensibel Unterrichten

Wie können Lehrkräfte digitale Medien für einen sprachsensiblen Unterricht in Präsenz oder auf Distanz einsetzen? Antworten auf diese Frage sowie zahlreiche Tipps und praktische Tools liefert das Mercator-Institut in dieser Handreichung der Reihe "Unterricht und sprachliches Lernen digital".

Schülerinnen und Schüler verfügen über sehr unterschiedliche sprachliche Fähigkeiten. Aufgrund der zunehmenden sprachlichen Heterogenität kommt dem sprachsensiblen oder sprachbewussten Unterricht eine herausragende Bedeutung zu. Lernprozesse zu individualisieren stellt eine wichtige Grundlage sprachsensibler Unterrichtsansätze dar. Digitale Medien bieten hierfür vielfältige Anwendungsmöglichkeiten. Der Beitrag skizziert das Konzept, auf dem sprachsensible Unterrichtsansätze basieren, und gibt methodische Umsetzungsbeispiele für jede Phase des Unterrichts, die sowohl im Präsenz- als auch im Distanzunterricht umsetzbar sind.

Hintergrund: Unterricht mit digitalen Medien organisieren

Unterricht ist zu allen Zeiten ein in hohem Maße sprachlich-kommunikatives Geschehen. Die sprachlichen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler und die Kommunikationsmöglichkeiten sind daher zwei zentrale Voraussetzungen für gelingende Lernprozesse. Der Wegfall des Präsenzunterrichts – und damit die Möglichkeit zur unmittelbaren mündlichen Kommunikation (face-to-face) – während der Schulschließungen hat das drastisch vor Augen geführt. Auch im kommenden Schuljahr ist davon auszugehen, dass es neben dem Präsenzunterricht Formen des Distanzlernens, also des Lernens zu Hause, geben wird (vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung, 2020). Lehrkräfte müssen den Unterricht so organisieren, dass Schülerinnen und Schüler auch zu Hause sinnvolle, didaktisch gute Aufgaben bearbeiten. Wenn Kinder und Jugendliche Lerninhalte zu Hause erledigen, ist es hilfreich, zu Beginn ihren Zeitbedarf zu erheben. So kann die Lehrkraft für künftige Aufgaben realistisch einschätzen, wie viele Aufgaben in welcher Zeit bearbeitet werden können.

Für die Organisation des Unterrichts bieten sich digitale Medien an: für die Kommunikation der Lehrkraft mit den Schülerinnen und Schülern sowie die Kommunikation der Lernenden untereinander, das selbstständige Recherchieren, Nutzen und Bewerten von Informationen, die Nutzung und Förderung individueller Mehrsprachigkeit sowie das sprachsensible Unterrichten.

Didaktische Einordnung

Neben individuellen kognitiven Voraussetzungen und dem Kontext und Zeitpunkt des Erwerbs des Deutschen trägt in Deutschland vor allem die soziale Herkunft zur Entwicklung sprachlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten bei, wie zuletzt erneut die Ergebnisse der PISA-Studie bestätigen (Reiss, Weis, Klieme & Köller, 2019, S. 15). Mit Blick auf die zunehmende sprachliche Heterogenität von Schülerinnen und Schülern kommt dem sprachsensiblen oder sprachbewussten Unterricht eine zentrale Bedeutung zu. Wesentliche Elemente sprachsensibler Unterrichtsansätze sind zum einen die gezielte sprachliche Unterstützung von Schülerinnen und Schülern im Fach (d. h. sowohl in Deutsch und Englisch als auch in Mathematik, Biologie, Sozialkunde, Kunst usw.) und zum anderen die Verknüpfung von fachlichem und sprachlichem Lernen (vgl. Becker-Mrotzek & Woerfel, erscheint). Solche Ansätze haben besonders seit den großen Bildungsvergleichsstudien der 2000er Jahre an Relevanz gewonnen und sind bereits Gegenstand von Curricula und Rahmenlehrplänen bzw. in der Lehrkräftebildung verankert. Die Erkenntnisse aus den PISA- oder IGLU-Studien haben gezeigt, dass die Unterrichtssprache Deutsch ein notwendiges Mittel ist, um fachliche Kompetenzen zu erreichen. Zugleich stellt es eine Hürde dar, wenn diese sprachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten fehlen.

Sprachliches und fachliches Lernen verbinden

Sprachliches und fachliches Lernen sind im Unterricht untrennbar miteinander verbunden. Hierbei übernimmt die Sprache im Unterricht verschiedene Funktionen. Mit Hilfe der Sprache(n) vermitteln Lehrkräfte Lerninhalte bzw. kommunizieren Aufgaben an Schülerinnen und Schüler. Diese nehmen die Inhalte auf, verarbeiten und speichern sie und geben sie in der Regel mündlich oder schriftlich wieder. Um den Unterrichtsgegenstand aktiv zu verarbeiten, müssen sie im Fachunterricht unterschiedliche sprachliche Handlungen realisieren. Viele Sprachhandlungen (z. B. Beschreiben, Erklären, Argumentieren usw.) finden sich im Kernlehrplan für verschiedene Fächer, sie sind also fächerübergreifend in Anwendung, unterscheiden sich jedoch in ihrer fachlichen Umsetzung. Sie sind auch als Operatoren bekannt. Darüber hinaus gibt es aber auch fachspezifische Sprachhandlungen, wie z. B. Erörtern im Deutschunterricht oder Protokollieren im Chemieunterricht, so dass deren Vermittlung sinnvollerweise im Fachunterricht stattfindet.

Sprachliche Hürden im Fachunterricht abbauen

Fehlen sprachliche Fähigkeiten und Fertigkeiten im Deutschen, können Schülerinnen oder Schüler dem Unterricht nicht folgen oder eine Aufgabenstellung nicht durchdringen, weil sie sie sprachlich nicht verstehen oder sich/die Inhalte nicht sprachlich ausdrücken können. In der Folge verfehlen sie möglicherweise die fachlichen Unterrichtsziele. Der Deutschunterricht oder zusätzliche Deutsch-Fördermaßnahmen allein reichen nicht aus, um gegenzusteuern: Die bildungs- und fachsprachlichen Kompetenzen, die für den Schulerfolg entscheidend sind, sind sehr vielfältig, oft fachspezifisch und werden nur in dem Kontext effizient erlernt, in dem Schülerinnen und Schüler sie benötigen – also im Fachunterricht. Eine notwendige Schlussfolgerung für die Praxis ist es daher, im Fachunterricht sprachliche Hürden zu erkennen und Lernende dabei zu unterstützen, diese zu überwinden (vgl. Basiswissen Sprachsensibler Unterricht).

Einer der bekanntesten sprachsensiblen Unterrichtsansätze ist das sprachbezogene Scaffolding (vgl. Gibbons, 2015; Kniffka, 2010; 2012), das typischerweise in vier Schritten erfolgt. Die ersten drei Schritte gehören zur didaktisch-methodischen Planung des Unterrichts (sogenanntes Makro-Scaffolding), während der vierte Schritt die Interaktion im Unterricht (sogenanntes Mikro-Scaffolding) umfasst.

Schritt 1: Analyse der fachspezifischen sprachlichen Anforderungen

Im ersten Schritt erfolgt die sprachliche Analyse des Unterrichtsmaterials (z. B. der Lese- und Schreibaufgaben und der Unterrichtstexte), der Unterrichtsinteraktionen (etwa der sprachliche Input der Lehrkraft) sowie der sprachlichen Handlungen, die Schülerinnen und Schülern ausführen sollen. Auf dieser Grundlage werden die sprachlichen Kompetenzen herausgearbeitet, die zum Erreichen des fachlichen Lernziels erforderlich sind. Hierfür eignet sich beispielsweise das Raster zur Konkretisierung sprachlicher Lernziele.

Schritt 2: Ermittlung der sprachlichen Fähigkeiten

Nach der Analyse der sprachlichen Anforderungen erfolgt im zweiten Schritt die Feststellung des Sprachstandes der Schülerinnen und Schüler. Erst wenn Lehrkräfte wissen, über welche Sprachkompetenzen die Lernenden (noch nicht) verfügen, können sie gezielte und individuelle sprachliche Fördermaßnahmen aussuchen. Sie haben die Möglichkeit – je nach Zielsetzung des Verfahrens und der Altersgruppe der Lernenden – aus einem breiten Spektrum diagnostischer Verfahren zu wählen. Eine Übersicht über standardisierte und nicht-standardisierte Verfahren bietet die Tool-Dokumentation der Bund-Länder-Initiative Bildung durch Sprache und Schrift (BiSS) (s. auch den Qualitätscheck der Diagnosetools) und ein Überblicksartikel des proDaZ-Kompetenzzentrums der Universität Duisburg-Essen, in dem das Spektrum sprachdiagnostischer Verfahren anhand konkreter Beispiele vorgestellt wird.

Schritt 3: Auswahl passender sprachlicher Unterstützungen

Im dritten Schritt wählen Lehrkräfte – nach dem Abgleich der sprachlichen Anforderungen des Unterrichts mit den sprachlichen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler – Unterstützungstechniken (Scaffolds) aus. Diese sind auf den Lernstand zugeschnitten, werden zeitlich begrenzt eingesetzt und tragen so dazu bei, dass Schülerinnen und Schüler die sprachlichen und fachlichen Lernziele erreichen (vgl. Michalak, Lemke & Goeke, 2015, S. 161-162). Als mögliche Unterstützungstechnik können Lehrkräfte die Lernaufgaben so sequenzieren, dass sie den Lernenden zunächst einen konkreten Zugang zum Thema verschaffen und anschließend zunehmend vom Kontext abstrahieren. Denkbar ist auch, dass sie zusätzliches (sprachliches) Material bereitstellen und den Schülerinnen und Schülern die Gelegenheit bieten, sich metasprachlich und kognitiv auszutauschen (vgl. Kniffka, 2012, S.217-218). Konkrete Anregungen für sprachsensible Methoden, Sprachhilfen und den Einbezug individueller Mehrsprachigkeit erhalten Lehrkräfte im Methodenpool für sprachsensiblen Fachunterricht.

Schritt 4: Umsetzung im Unterricht

Der vierte Schritt umfasst insbesondere die Unterrichtsinteraktion, der sowohl für das fachliche als auch für das sprachliche Lernen eine besondere Rolle zukommt (→ Handreichung Kommunikationskanäle für den Austausch im Unterricht). Dabei ist neben der Umsetzung der zuvor geplanten Unterstützungstechniken auch die Qualität der Unterrichtskommunikation entscheidend für den Lernerfolg. Hier können Lehrkräfte das sprachliche Lernen der Schülerinnen und Schüler unterstützen, indem sie einerseits zum Beispiel die Unterrichtsinteraktion verlangsamen, etwa weil sie mehr Zeit dafür einräumen und langsamer sprechen. Zum anderen gelingt das, indem sie konzeptuelle Zusammenhänge beispielsweise durch Concept Maps oder semantische Netze herstellen oder die Äußerungen der Lernenden re-kodieren, sie also z. B. in der grammatikalisch korrekten Form wiederholen (vgl. Kniffka, 2012, S. 218-219).

Auf Textlängen, Arbeitsaufträge und Mehrsprachigkeitsprofile achten

Gerade beim Lernen zu Hause spielen sprachliche Unterstützungen wie die zuvor genannten eine entscheidende Rolle, damit Schülerinnen und Schüler in den verschiedenen Fächern nicht sprachlich überfordert sind. Grundsätzlich sollten Lehrkräfte im Distanzunterricht (wie auch im Präsenzunterricht) auf Verständlichkeit, auf eine passende Textlänge bei Lese- und Schreibaufgaben ebenso wie bei Zuhöraufgaben achten. In asynchronen Distanz-Lehr-Lernszenarien ist es außerdem wichtig, dass Lehrkräfte Arbeitsaufträge besonders präzise stellen, da mögliche Rückfragen der Schülerinnen und Schüler und Erläuterungen der Lehrkraft nicht so unmittelbar erfolgen können wie in Präsenzszenarien. Für Lernende, denen sprachliche Fähigkeiten und Fertigkeiten fehlen, ist es besonders zentral, dass Lehrkräfte sprachliche Hilfen bereitstellen, die für die inhaltliche Lösung von Aufgaben erforderlich sind (z. B. neue oder schwierige Wörter, typische Wortkombinationen wie „Man gibt x hinzu“ oder „Ich habe beobachtet, dass ...“, Satzverknüpfungen, die helfen einen Text zu strukturieren, etwa „Zuerst ist xy aufgebaut worden ... Dann wurde zz hinzugefügt...“ sowie textliche Merkmale, also typische Kennzeichen von Textsorten, wie der Aufbau eines Protokolls, vgl. Gogolin, 2020, S. 179; Woerfel & Giesau, 2018).

Lehrkräfte solten auch im sprachsensiblen Unterricht grundsätzlich die individuellen Mehrsprachigkeitsprofile der Schülerinnen und Schüler berücksichtigen. Ebenso lässt sich der gezielte didaktisch-methodische Einbezug von Herkunftssprachen z. B. mittels des Translanguaging-Ansatzes nutzen, damit Schülerinnen und Schüler die Lernaufgaben in allen Fächern bewältigen können (García & Wei, 2018). Solche Ansätze haben sich auch in Deutschland bereits als erfolgreich erwiesen (z. B. beim sprachlichen und fachlichen Lernen auf der Basis der Gesamtsprachlichkeit mehrsprachiger Schülerinnen und Schüler, vgl. Gantefort & Oroquieta Sánchez, 2015; Gantefort & Maahs, 2020).

Methodische Umsetzung

Bei der Planung sprachsensiblen Unterrichts kann es Lehrkräften helfen, die Phasierung des Unterrichts entlang des sogenannten Mode Continuums (vgl. Gibbons, 2015) vorzunehmen. Dabei strukturieren sie die Unterrichtsphasen so, dass sich Schülerinnen und Schüler schrittweise von konzeptionell mündlich geprägten Aufgaben hin zu konzeptionell schriftlichen Arbeitsaufträgen bewegen. Mit anderen Worten: Lehrkräfte bereiten einen Unterrichtsgegenstand so auf, dass die Lernenden zunächst über einen konkreten, oft intuitiven Einstieg einen niedrigschwelligen Zugang zum Thema finden. Dieses gewinnt nach und nach an (sprachlicher) Komplexität, so dass Schülerinnen und Schüler es schließlich auch in komplexeren bildungs- und fachsprachlichen Strukturen ohne unmittelbaren Kontextbezug schriftlich oder mündlich festhalten können. Digitale Medien können Lehrkräften helfen, sprachsensiblen Distanz- und Präsenzunterricht nach diesem Muster zu phasieren.

Den Einstieg mit digitalen Medien gestalten

Für den (konzeptionell mündlichen) Einstieg eignen sich digitale Tools, die zunächst das inhaltliche oder sprachliche Vorwissen der Schülerinnen und Schüler aktivieren und ihnen einen intuitiven Zugang zu einem Thema ermöglichen. Denkbar sind hierfür kurze Um- oder Abfragen (z. B. mit einem Abstimmungs- oder Brainstorming-Tool, wie Mentimeter oder Pingo), um ein Meinungsbild einzuholen oder Vorkenntnisse zu erfassen (s. dazu den studentischen Unterrichtsvorschlag im digiLL-Lernmodul Erstellung digitalen Contents zur sprachlichen Unterstützung im sprachsensiblen Musikunterricht). Für Ideensammlungen oder Brainstormings bieten sich digitale Mindmaps (z. B. mit Coggle), digitale Pinnwände (etwa Padlet oder Mural) oder Whiteboards (beispielsweise von Cryptpad) an, auf denen Schülerinnen und Schüler – auch kollaborativ – erste Ideen oder Assoziationen festhalten und miteinander vernetzen können. Auch kurze Quizeinheiten (z. B. mit Kahoot) sind möglich, um in ein Thema einzusteigen. Findet die Stunde per Videokonferenz statt, kann es sinnvoll sein, Schülerinnen und Schüler in einzelne Konferenzräume (sogenannte Breakout-Sessions in Zoom oder BigBlueButton) einzuteilen, damit sie sich in Kleingruppen zunächst alltagssprachlich gemeinsam in das Thema einfinden und ein erstes Verständnis sowie Hypothesen oder Fragestellungen entwickeln können. Der kurze Austausch ermutigt sie gegebenenfalls auch in der gemeinsamen Hauptsession mitzuarbeiten.

Die Erarbeitungsphase mit digitalen Medien gestalten

In der Erarbeitungsphase geht es unter anderem darum, dass Schülerinnen und Schüler den Unterrichtsgegenstand eigenständig erkunden und zuvor aufgeworfene Fragen oder Hypothesen überprüfen. Hier sollten Lehrkräfte ausreichend Zeit und Raum für Austausch und Interaktion zwischen den Lernenden einplanen. Sowohl für das Lernen auf Distanz als auch für den Präsenzunterricht bieten sich oftmals kollaborative Tools an, mit denen Schülerinnen und Schüler Unterrichtsergebnisse gemeinsam planen, formulieren und sichern können. Für Beobachtungsaufträge eignen sich beispielsweise kollaborative Dokumente (z. B. von Google Docs oder Cryptpad), die Lehrkräfte tabellarisch vorstrukturieren und Schülerinnen und Schülern über einen Link zur Verfügung stellen können.

Lernende können sich einen Unterrichtsgegenstand auch unter verschiedenen Gesichtspunkten erarbeiten, indem sie ein Blog oder ein Wiki anlegen. Auch die gemeinsame oder individuelle Erstellung unterschiedlicher digitaler Produkte ist denkbar. So können sich Schülerinnen und Schüler ein Thema erarbeiten, indem sie Videos oder Audioaufnahmen hierzu produzieren. Vorstellbar sind ebenfalls Erklärvideos (z. B. ein Tutorial für ein Experiment im naturwissenschaftlichen Unterricht, eine Übung im Sportunterricht oder szenische (Hör-)Spiele, beispielsweise zur Interpretation einer Schullektüre. Wenn Schülerinnen und Schüler anspruchsvolle Unterrichtstexte lesen sollen, ist es eine gute Idee, die Inhalte in Form von Schaubildern oder Grafiken (z. B. mit dem Tool Canva) oder in einer Mindmap (etwa mit Coggle) zu visualisieren. Hiermit kann zunächst das Verständnis (zwischen-)gesichert werden, bevor Schülerinnen und Schüler das Gelesene anschließend weiter verarbeiten. 

In der Erarbeitungsphase sollten Schülerinnen und Schüler ihre Unterrichtsergebnisse sprachlich festhalten, indem sie ihre Beobachtungen, Schlussfolgerungen oder Arbeitsergebnisse kontextbezogen aufschreiben oder -sprechen. Dafür ist es ratsam, dass sie nach Möglichkeit bereits passende bildungs- und fachsprachliche Formulierungen auf Wort-, Satz- und Textebene verwenden. Als sprachliche Hilfen können Lehrkräfte hierfür (sprachliches) Zusatzmaterial wie Wort- und Phrasensammlungen oder eine digitale Info-Ecke auf einer Lernplattform (z. B. ILIAS oder Moodle) oder einer digitalen Pinnwand (etwa Padlet oder Trello) zur Verfügung stellen. Lehrkräfte, die auf Lernplattformen zugreifen, können außerdem die dort bereitgestellten Tools nutzen, z. B. um ein Glossar für Fachbegriffe (gemeinsam mit der Klasse) anzulegen. Auch das Tool Prezi eignet sich, um Aufgaben anzuleiten und sprachliche Hilfen bereitzustellen (s. das studentische Beispiel im sprachsensiblen Kunstunterricht).

Zudem sollten Lehrkräfte im Kontext des Distanzlehrens in besonderer Weise prüfen, ob die von ihnen formulierten Aufträge oder die zur Verfügung gestellten Arbeitsblätter den sprachlichen Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler (s. Schritt 2: Ermittlung der sprachlichen Fähigkeiten) entsprechen.

Die Sicherungsphase mit digitalen Medien gestalten

Gerade beim Lernen auf Distanz ist es im Sinne des sprachsensiblen Unterrichts wichtig, dass allen Schülerinnen und Schülern die Arbeitsergebnisse zur Verfügung gestellt werden und sie während der Sicherungsphase Einblick in die vorgestellten Ergebnisse erhalten. Kam in der Erarbeitungsphase ein kollaboratives Tool zur Anwendung, können Lernende ihre Dokumente einander meist über einen Link verfügbar machen. In einer Videokonferenz können sie oder die Lehrkräfte zudem ihren Bildschirm teilen, um die Sicht auf die Arbeitsergebnisse freizugeben. Auch Lernplattformen bieten die Möglichkeit, Aufgaben sowie Video- und Audiodateien hochzuladen oder über einen Link zu teilen (→ Handreichung Kommunikationskanäle für den Austausch im Unterricht). Die Ergebnisse sollten Schülerinnen und Schüler möglichst eigenständig präsentieren und zusammentragen. Lehrkräfte können sprachliche Hilfen anbieten, indem sie in der Interaktion mit den Lernenden Äußerungen re-kodieren oder durch gezielte Nachfragen erneut formulieren lassen (s. Schritt 4: Umsetzung im Unterricht).

Die Übungsphase mit digitalen Medien gestalten

Für Übungsphasen können Lehrkräfte die individuellen sprachlichen Voraussetzungen ihrer Schülerinnen und Schüler berücksichtigen, indem sie differenzierte, digitale Arbeitsblätter (z. B. mit Canva oder Worksheet Crafter) erstellen, auf denen sie zusätzliche Hilfestellungen oder über Verlinkungen oder QR-Codes weitere Informationen anbieten. Die freie und quelloffene Software H5P, mit der sich interaktive Lerneinheiten produzieren lassen, liefert verschiedene Anwendungsmöglichkeiten zum Einsatz im Unterricht. In Moodle, ILIAS, Drupal oder WordPress lassen sich mit dort verfügbaren H5P-Plugins z. B. interaktive Lernquiz erarbeiten oder sprachliche Hilfen bzw. zusätzliche Begriffserklärungen (auf einer Arbeitsanweisung, in einem Text oder auf einem Bild usw.) mittels Image Hotspots oder Drag-and-Drop-Aufgaben zur Verfügung stellen. Lehrkräfte können mit H5P auch Flashcards verfassen oder diese durch Schülerinnen und Schüler anfertigen lassen. Mit Erklärvideos können sich Lernende in ihrem eigenen Tempo (zusätzliches) Wissen aneignen (→ Handreichung Zuhören fördern). Die Videos können aber auch genutzt werden, um beispielsweise bestimmte sprachliche Strukturen oder Fachwörter durch Animationen, Einblendungen oder Untertitel hervorzuheben (vgl. die studentischen Beispiele im digiLL-Lernmodul Digitaler Content in der (mehr)sprachlichen Bildung, weitere Beispiele mit Bezug zur sprachlichen Bildung gibt es hier).

Die Reflexionsphase mit digitalen Medien gestalten

In der Reflexionsphase können Schülerinnen und Schüler die anfangs aufgeworfenen und inzwischen erarbeiteten Fragestellungen beantworten und diskutieren. Hierbei können sie verschiedene Perspektiven berücksichtigen, die z. B. mit dem Tool Scrumlr einander gegenübergestellt und bewertet werden können. Außerdem können Lehrkräfte die Abfrage aus dem Einstieg erneut durchführen, um festzustellen, ob oder inwiefern sich die Einstellungen oder das Wissen der Schülerinnen und Schüler weiterentwickelt haben. Hierfür wären auch eine digitale Meinungslinie oder eine Vier-Ecken-Abfrage denkbar, die Lehrkräfte auf einem digitalen Whiteboard anlegen können. Wichtig ist an dieser Stelle die Kommunikation darüber, auf welcher Grundlage Meinungsänderungen oder Urteile zustande gekommen sind. Schülerinnen und Schüler sollten also – mit Rückgriff auf die zuvor erarbeiteten Inhalte und sprachlichen Strukturen (z. B. geeignete Fachbegriffe) – dazu in der Lage sein, ihre Aussagen zu begründen. Dafür ist es empfehlenswert, dass Lernende ausreichend Zeit erhalten, um sich auch in einem digitalen Setting eigene (analoge) Notizen zu machen und/oder sich in Online-Konferenzräumen auszutauschen und ihre Gedanken anschließend ins Plenum zu tragen. Der Zugriff auf die Arbeitsergebnisse ist an dieser Stelle zentral (s. Die Sicherungsphase mit digitalen Medien gestalten). Bei Bedarf können Lehrkräfte sprachliche Hilfen für die Formulierung eigener Urteile beispielsweise auf einem Whiteboard anbieten.

Darüber hinaus bietet es sich spätestens in dieser Phase an, den inhaltlichen wie sprachlichen Gesamtzusammenhang des Unterrichtsthemas darzustellen, indem Schülerinnen und Schüler es mithilfe einer Mindmap oder eines Advanced Organizers (z. B. mit Coggle oder Padlet) in einen größeren Kontext einordnen oder (sprachliche) Netzwerke mit der Strukturlegetechnik herstellen. Diese Vorarbeit kann Schülerinnen und Schüler dabei unterstützen, ihr Wissen zu vertiefen und auf andere Kontexte zu übertragen.

Die Vertiefungsphase mit digitalen Medien gestalten

In der Vertiefungsphase ist es sinnvoll, dass Schülerinnen und Schüler die zuvor erworbenen Kenntnisse zunehmend vom konkreten Kontext lösen, indem sie diese beispielsweise auf andere Bereiche anwenden oder sich ein differenziertes Urteil über einen Sachverhalt bilden und schriftlich festhalten. Hier bewegen sich Lernende bereits in einem sowohl inhaltlich als auch sprachlich höheren Anforderungsbereich, für den sie zunehmend kontextentbundene und präzise Formulierungen benötigen. Insbesondere in dieser Phase können Lehrkräfte ebenfalls sprachliche Hilfen anbieten, damit Schülerinnen und Schüler die immer komplexer werdenden sprachlichen Anforderungen erfüllen können. Denkbar ist, dass sie auch hier (sprachliches) Zusatzmaterial wie Wort- und Phrasensammlungen über digitale Lernplattformen zur Verfügung stellen. Ein Ziel dieser Phase sollte es sein, Lernende in die Lage zu versetzen, den Unterrichtsgegenstand nicht nur inhaltlich zu begreifen, sondern das Gelernte auch (konzeptionell schriftlich) ausdrücken zu können. Ihre Arbeitsergebnisse können Schülerinnen und Schüler individuell in einem Textverarbeitungsprogramm (wie Microsoft Word  oder Libre Office) oder auch in Form eines Blogs festhalten. Für Schülerinnen und Schüler der Mittel- oder Oberstufe eignet sich hierfür der Anbieter Wordpress, für Lernende der Primar- und Erprobungsstufe bietet sich eher der Webseitengenerator Primolo.

Umgang mit neu zugewanderten Schülerinnen und Schülern in Distanzlehr-Settings

Wann immer möglich, sollten Schülerinnen und Schüler, denen noch sprachliche Fähigkeiten und Fertigkeiten im Deutschen fehlen, während des Fernunterrichts Kontakt zu einer Dialogpartnerin und einem Dialogpartner haben, die sie während des Lernprozesses auch sprachlich unterstützen können (vgl. Gogolin, 2020, S. 179). Dies betrifft insbesondere Schülerinnen und Schüler, die erst kürzlich neu zugewandert sind und zu Hause möglicherweise nur wenig beim Lernen begleitet werden können. Kurzfristig können Lehrkräfte, Mitschülerinnen und -schüler (in synchronen Peer-Learning-Szenarien, z. B. via Videokonferenzen, WhatsApp-Chats, Telegram-Gruppen usw.) oder auch Geschwister diese Aufgaben übernehmen. Auch wären etwa Lehramtsstudierende als Assistentinnen und Assistenten eine Möglichkeit, Lernende zu Hause zu unterstützen. Mittelfristig ist zu überlegen, wie die Schule organisieren kann, Schülerinnen und Schüler auf Distanz individuell zu begleiten. In den USA erfolgen sprachliche Unterstützungen modellhaft durch Tutorinnen und Tutoren (Madden & Slavin, 2017) und in Kanada über Schulbegleiterinnen sowie Schulbegleiter, die dieselbe Herkunftssprache wie die Schülerinnen und Schüler sprechen (sogenannte settlement workers, vgl. Löser, 2008).

In einem Distanzlehr-Setting ist ebenso vorstellbar, dass mehrsprachige Personen, die dieselbe Herkunftssprache wie (neu zugewanderte) Schülerinnen und Schüler sprechen, ihnen mittels Videokonferenztools beispielsweise bei der Bearbeitung von Lernaufgaben helfen. Dies können aber auch Sprecherinnen und Sprecher im Herkunftsland sein oder Menschen, die in derselben Region leben und über bestehende Netzwerke oder Programme zu finden sind: Das eTwinning Programm der Europäischen Union (als Teil des Comenius Programms und von Erasmus+) vernetzt Schulen schon seit langem über das Internet. Es ist zwar auf die Amtssprachen der EU beschränkt, kann aber als Vorbild dafür dienen, Schulen über die EU hinaus zusammenarbeiten zu lassen.

Quellen

Becker-Mrotzek, Michael & Woerfel, Till (erscheint). Sprachsensibler Unterricht und Deutsch als Zweitsprache als Gegenstand der Lehrerbildung. In Colin Cramer, Martin Drahmann, Johannes König, Martin Rothland & Sigrid Blömeke (Hrsg.), Handbuch Lehrerbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Friedrich-Ebert-Stiftung (2020). Schule in Zeiten der Pandemie: Empfehlungen für das Schuljahr 2020/21. Verfügbar unter: https://www.fes.de/themenportal-bildung-arbeit-digitalisierung/artikelseite/ergebnisse-der-kommission-schuljahr-2020-21 (abgerufen am 24.07.2020).

Gantefort, Christoph & Maahs, Ina-Maria (2020). Translanguaging. ProDaZ. Verfügbar unter: https://www.uni-due.de/imperia/md/content/prodaz/gantefort_maahs_translanguaging.pdf (abgerufen am 24.07.2020).

Gantefort, Christoph & Oroquieta Sánchez, Maria Jose (2015). Translanguaging-Strategien im Sachunterricht der Primarstufe: Förderung des Leseverstehens auf Basis der Gesamtsprachigkeit. Transfer ⇔ Forschung 1 Schule., 1 (1), 24–37.

García, Ofelia & Wei, Li (2018). Translanguaging. The Encyclopedia of Applied Linguistics (S. 1–7). American Cancer Society. doi:10.1002/9781405198431.wbeal1488.

Gibbons, Pauline (2015). Scaffolding language, Scaffolding learning. Teaching English Language Learners in the Mainstream Classroom. Portsmouth: Heinemann.

Gogolin, Ingrid (2020). Sprachliche Förderung, sprachliche Bildung und Lernen im Deutschen als Zweitsprache während und nach der Pandemie. In Detlef Fickermann & Benjamin Edelstein (Hrsg.), „Langsam vermisse ich die Schule ...“ (S. 175–188). Münster/New York: Waxmann. doi:10.31244/9783830992318.11

Kniffka, Gabriele (2010). Scaffolding. ProDaZ. Verfügbar unter: https://www.uni-due.de/imperia/md/content/prodaz/scaffolding.pdf (abgerufen am 24.07.2020).

Kniffka, Gabriele (2012). Scaffolding - Möglichkeiten, im Fachunterricht sprachliche Kompetenzen zu vermitteln. In Michalak, Magdalena & Kuchenreuther, Michaela (Hrsg.), Grundlagen der Sprachdidaktik Deutsch als Zweitsprache. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.

Löser, Jessica (2008). Der Settlement Worker in School - Ein kanadisches Unterstützungsmodell für Familien mit Migrationshintergrund. In Inci Dirim, Kathrin Hauenschild, Birgit Lütje-Klose, Jessica

Löser & Isabell Sievers (Hrsg.), Ethnische Vielfalt und Mehrsprachigkeit an Schulen. Beispiele aus verschiedenen nationalen Kontexten (S. 55–65). Frankfurt am Main: Brandes & Apsel.

Madden, Nancy A. & Slavin, Robert E. (2017). Evaluations of Technology-Assisted Small-Group Tutoring for Struggling Readers. Reading & Writing Quarterly, 33 (4), 327–334. Routledge. doi:10.1080/10573569.2016.1255577

Michalak, Magdalena; Lemke, Valerie & Goeke, Marius (2015). Sprache im Fachunterricht. Tübingen: Narr.

Reiss, Kristina; Weis, Mirjam; Klieme, Eckhard & Köller, Olaf (2019). PISA 2018: Grundbildung im internationalen Vergleich. Münster/New York: Waxmann.

Woerfel, Till & Giesau, Marlies (2018). Sprachsensibler Unterricht. Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache (Basiswissen sprachliche Bildung). Verfügbar unter: https://www.mercator-institut-sprachfoerderung.de/de/themenportal/thema/sprachsensibler-unterricht/ (abgerufen am 28.04.2020).

Impressum

Die Handreichungen Unterricht und sprachliches Lernen digital sind das Ergebnis einer Arbeitsgruppe am Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache, die sich mit den Anforderungen an sprachliche Bildung in der digitalisierten Welt während und nach der Corona-Pandemie beschäftigt hat. Mitglieder der Arbeitsgruppe (in alphabetischer Reihenfolge) sind: Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek, Ilka Huesmann, Michaela Mörs, Dr. Till Woerfel.

Diese Publikation darf, unter Einhaltung der gängigen Zitierregeln und mit Angabe der Quelle, gern weiterverwendet werden: Woerfel, Till & Huesmann, Ilka (2020): Unterricht mit digitalen Medien organisieren. Sprachsensibel unterrichten. Köln: Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache.

© 2020 Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache
Autor und Autorin: Till Woerfel und Ilka Huesmann
Redaktion: Michael Becker-Mrotzek, Frauke König, Michaela Mörs
www.mercator-institut-sprachfoerderung.de

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