
Semesterbeginn in Corona-Zeiten: Wie der Sprung ins kalte Wasser die Lehre verändert
Die Lehre an Hochschulen findet derzeit nur virtuell statt. Das erfordert von den Dozentinnen und Dozenten ein Umdenken. Worauf Lehrpersonen bei der Fernlehre achten müssen, welche digitalen Formate helfen können und welche Chancen die jetzige Situation birgt, erklärt Ilka Huesmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Mercator-Instituts, im Interview.
Vergangene Woche hat das Sommersemester 2020 begonnen. Die Universität zu Köln hat wegen des Coronavirus die Präsenzlehre und -prüfungen bis mindestens Ende Mai abgesagt. Das betrifft auch die Lehrveranstaltungen im DaZ-Modul, für die das Mercator-Institut verantwortlich ist. Welche Umplanungen waren nötig, weil die Lehrveranstaltungen nun vorerst ausschließlich online stattfinden müssen?
Wir waren glücklicherweise schon ganz gut aufgestellt, was die Online-Lehre angeht. Zum DaZ-Modul gehört zum Beispiel eine Vorlesung, die wir seit Jahren jedes Semester online durchführen. Hierfür mussten wir nicht viel ändern. Für die Aufbauseminare im DaZ-Modul, die normalerweise als Präsenzveranstaltungen stattfinden, mussten wir allerdings komplett umdenken. Wir konnten die Seminare, die wir für das Sommersemester bereits geplant hatten, nicht einfach eins zu eins in die Onlinepräsenz überführen. Es ist etwas ganz anderes, ob man im Seminarraum sitzt oder sich nur über den Bildschirm sieht. Das stellt alle Lehrpersonen – mal mehr und mal weniger – vor Herausforderungen und erfordert viel Kreativität. Wir haben deswegen verschiedene Unterstützungsangebote und praktikable Konzepte für die Lehrenden im DaZ-Modul entwickelt und ihnen zur Verfügung gestellt – schließlich müssen nicht alle das Rad neu erfinden.
Wie sehen diese Angebote und Konzepte konkret aus?
Zum einen haben wir eine E-Learning-Einheit zu den Grundlagen des sprachsensiblen Unterrichtens und den Prüfungsvoraussetzungen im DaZ-Modul erstellt. Diese können alle Lehrenden des DaZ-Moduls für ihre Seminare nutzen. Darüber hinaus können sie auf E-Learning-Einheiten und -Kurse zugreifen, die im Kontext des Programms Bildung durch Sprache und Schrift (BiSS) am Mercator-Institut entstanden sind und dort in der Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte eingesetzt werden. Diese können die Lehrenden als kompletten Kurs einbinden oder auch einzelne Einheiten verwenden – so wie es am besten zu ihrem Seminarkonzept und -thema passt. Insgesamt stehen ihnen etwa 160 Einheiten zur Verfügung, die unterschiedliche Themen aus den Bereichen sprachliche Bildung und Sprachförderung behandeln: von den Grundlagen der Sprachdiagnostik über Konzepte der Leseförderung bis hin zu Mehrsprachigkeit. Wir konnten also glücklicherweise auf gute und erprobte Produkte sowie Konzepte zurückgreifen.
Bestehen die Seminare im kommenden Sommersemester ausschließlich aus E-Learning-Einheiten, die die Studierenden eigenständig bearbeiten?
Nein, das würde kaum einen Lernzuwachs mit sich bringen. Die Inhalte, die nun als E-Learning angeboten werden, müssen Lehrende mit Formen der Interaktion und Aufgabentypen verbinden und begleiten. Deswegen sieht das Konzept vor, dass Lehrende sich mit den Studierenden regelmäßig über das Videokonferenztool Zoom treffen. Dort können die Lehrenden zum Beispiel produktionsorientierte Aufgaben stellen, die die Studierenden eigenständig oder kollaborativ bearbeiten können. Vorstellbar wären zum Beispiel die Erstellung eines Erklärvideos, eines Wikis oder eines Quiz. Zudem haben die Studierenden bei den virtuellen Treffen Gelegenheit, Fragen zu stellen und sich über die Inhalte auszutauschen. Um alle Lehrpersonen auf denselben Stand zu bringen, haben wir vor Semesterstart einen Zoom-Workshop für die digitale Lehre durchgeführt. Wir haben erklärt, welche Funktionen das Programm hat, welche Interaktionen möglich sind und welche Grenzen Zoom hat.
Worauf müssen Lehrende achten, wenn sie Seminare ausschließlich online durchführen?
Sie sollten Formate wählen, mit denen die Studierenden zwar einerseits selbstgesteuert lernen können, aber auf der anderen Seite darauf achten, während des Semesters für sie ansprechbar zu sein. Wir bieten beispielsweise – neben den Zoom-Sitzungen – virtuelle Sprechstunden an und manche Lehrende haben einen Chat eingerichtet, in denen Studierende Fragen stellen können, die die Lehrperson für alle sichtbar beantwortet. Die Lehrenden sollten zudem darauf achten, die Materialien für das Seminar möglichst auf einer Plattform, in unserem Fall ist das ILIAS, zu bündeln und nicht auf einzelne zu verteilen. Das wird für die Studierenden sonst schnell zu unübersichtlich.
Und wie sieht es mit digitalen Tools aus: Sollten Lehrende diese in der Distanzlehre besonders intensiv einbinden?
Es geht nicht darum, besonders viele digitale Tools besonders häufig einzubinden, sondern – genau wie andere Lehr-Lern-Medien auch – dort zu nutzen, wo sie sinnvoll sind. Lehrkräfte sollten darauf achten, die Studierenden nicht zu überfrachten. Das betrifft zum einen die Anzahl an digitalen Tools. Zum anderen gilt das aber auch für die Menge der Texte, die Studierende lesen, und für die Aufgaben, die sie bearbeiten sollen. Dafür benötigen die Studierenden online mehr Zeit als in der physischen Präsenzlehre. Deswegen sollten Lehrpersonen den Umfang in digitalen Seminaren nicht erhöhen, sondern bei dem Umfang ihres bisherigen Konzepts bleiben.
Welche Tools kannst du Lehrenden empfehlen?
Es ist schwierig, konkrete Tools zu empfehlen, weil diese immer vom Inhalt, von den Personen, dem Lernziel und der Form der Zusammenarbeit abhängig sind – und umgekehrt. Grundsätzlich können Lehrende, etwa für die kollaborative Texterstellung, Google Docs einbinden oder den Text Editor von Sciebo. Mit diesen Tools können Studierende in Echtzeit gemeinsam an einem Textdokument arbeiten und Lernprodukte erstellen. Erklärvideos können Studierende zum Beispiel mit MySimpleShow oder einfach mit ihrem Smartphone produzieren und für Ideensammlungen ist Padlet beliebt und sehr intuitiv zu bedienen. Ein weiterer Vorteil dieses Tools ist, dass dort nur die Lehrperson einen Account braucht. Aus Datenschutzgründen kann es sinnvoll sein, wenn die eingesetzten Tools keine Anmeldung oder keinen Account seitens der Studierenden erfordern.
Kannst du – trotz aller Herausforderungen, die Lehrende meistern müssen – der Situation, die euch zwingt, die Lehre vorerst komplett in den virtuellen Raum zu verlegen, auch Chancen abgewinnen?
Ich glaube, dass die virtuelle Lehre die physische Präsenz nicht dauerhaft ersetzen kann und sollte. Es ist wichtig, dass Studierende und Lehrende zusammenkommen – schon allein mit Blick auf die Bildungsgerechtigkeit. Die ungleichen Bildungschancen verschärfen sich durch das Distanzlernen weiter. Nichtsdestotrotz bietet die Situation, in der wir jetzt mehr oder weniger ins kalte Wasser geworfen wurden, natürlich auch Chancen: Wir können die Möglichkeiten digitaler Lehre kennenlernen und Aufgabenformate sowie Tools, die in der Praxis besonders fruchtbar sind, herausfiltern und professionalisieren. Die größte Chance liegt darin, dass wir die Erfahrungen, die wir jetzt in der Lehre mit digitalen Medien im virtuellen Raum sammeln, auch weiterhin nutzen, wenn die Präsenzlehre wieder möglich ist.
Ilka Huesmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Sprache und Profession am Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache. Ihr Arbeitsschwerpunkt liegt in der Entwicklung von Online-Tools für die Planung und Umsetzung sprachsensiblen Unterrichts.
Interview: Frauke König