24.06.2021
Basiswissen

Individuelle Mehrsprachigkeit

Dieses Basiswissen widmet sich der individuellen Mehrsprachigkeit. In welchen Kontexten sie sich entwickelt, von welchen Faktoren sie beeinflusst wird und sie sich in Schule und Kita gewinnbringend nutzen lässt – das erklärt dieses Basiswissen.

Definition

Individuelle Mehrsprachigkeit ist die Kompetenz eines Menschen, mehr als eine Einzelsprache zu nutzen, um mündlich und/oder schriftlich zu kommunizieren. Eine mehrsprachige Person kann sich zum Beispiel auf Deutsch, Türkisch und Englisch verständigen. Diese Sprachen kann die Person in verschiedenen Kontexten, etwa in der Schule oder zu Hause, erlernt haben und sie auch unterschiedlich verwenden: Sie kann beispielsweise eine Sprache eher in der Familie und im Freundeskreis für Alltagsthemen und lediglich mündlich nutzen sowie andere Sprachen vorwiegend oder ausschließlich in der Schule oder im Beruf verwenden – und zwar sowohl mündlich als auch schriftlich.

Für individuelle Mehrsprachigkeit wird auch der Begriff Plurilingualität synonym verwendet. Die Zweisprachigkeit bzw. der Bilingualismus, d. h. wenn ein Mensch in zwei Einzelsprachen mündlich und/oder schriftlich kommunizieren kann, ist eine mögliche Form der individuellen Mehrsprachigkeit. Häufig wird ein Migrationshintergrund mit individueller Mehrsprachigkeit gleichgesetzt. Dies ist aber ein Fehlschluss: Es gibt beispielsweise Menschen mit einem Migrationshintergrund, die einsprachig mit der Umgebungssprache (z. B. Deutsch) groß werden, und Menschen ohne Migrationshintergrund, die mehrsprachig sind, weil sie bilingual aufwachsen und/oder Fremdsprachen in der Schule lernen.

Alle Menschen verfügen außerdem über verschiedene Varietäten einer Einzelsprache (z. B. Standardsprache, Dialekt oder Jugendsprache). Dies wird in Abgrenzung zur individuellen Mehrsprachigkeit als innere Mehrsprachigkeit bezeichnet. Wenn in einer Gruppe mehrere Sprachen verwendet werden, spricht man hingegen von Vielsprachigkeit. So ist Nordrhein-Westfalen beispielsweise vielsprachig, weil die dort lebenden Menschen in unterschiedlichen Sprachen kommunizieren.

Entwicklungs- und Gebrauchskontexte sowie Einflussfaktoren von Mehrsprachigkeit

Individuelle Mehrsprachigkeit entwickelt sich in unterschiedlichen Kontexten, u. a. in der Familie, in der Peergroup oder in der Schule. Zur mehrsprachigen Kompetenz eines Menschen können somit Herkunftssprachen (z. B. Arabisch in Deutschland), Umgebungssprachen (etwa Französisch in Frankreich) und Fremdsprachen (beispielsweise im Schulunterricht erlerntes Englisch) zählen. Damit verbunden können die Kompetenzen in unterschiedlichen Sprachdomänen (wie im Bildungswesen, Beruf, öffentlichen Leben, privaten Bereich) und in unterschiedlichen Lebensphasen genutzt werden.

Individuelle Mehrsprachigkeit kann von einer Vielzahl interagierender Faktoren beeinflusst werden, sodass sehr unterschiedliche Ausprägungen vorkommen. Zu den wichtigsten Einflussfaktoren werden u. a. diese gezählt:

  • Grad der Steuerung: Menschen können Sprachen ungesteuert erwerben, z. B. als eine Sprache der Familie in der Kindheit, aber sie auch gesteuert erlernen, beispielsweise im Fremdsprachenunterricht in der Schule.
  • Anwendung: Menschen können in unterschiedlichen Lebensbereichen verschiedene Sprachen nutzen, sodass diese unterschiedliche Funktionen erfüllen können,
    z. B. wenn sie mit Freundinnen und Freunden eine andere Sprache sprechen als mit Kolleginnen und Kollegen. Damit geht einher, dass sie bestimmte Sprachen häufiger und in vielfältigeren Situationen verwenden können als andere. Oft gebrauchen sie auch unterschiedliche Sprachen innerhalb von Sätzen oder Äußerungen (sogenanntes Code-Switching).
  • Medialität: Sprachen können von Menschen mündlich und schriftlich verwendet werden. Manche Sprachen werden von einem Menschen aber nur gesprochen, z. B. wenn eine Sprache mündlich in der Familie eines Kindes genutzt wird, aber das Kind in dieser nicht lesen und schreiben lernt. Andere Sprachen verwenden Menschen nur schriftlich, etwa im Unterricht älterer Sprachen, wie Latein oder Altgriechisch.
  • Motivation: Die individuelle Motivation beeinflusst den Erwerb und die Verwendung von Sprachen. Diese wiederum hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, z. B. wie sehr sich ein Mensch mit einer Sprache identifiziert, welches gesellschaftliche Prestige einer Sprache zugeschrieben wird oder wie viel Kontakt ein Mensch zu anderen Sprecherinnen und Sprechern einer Sprache hat.
  • Persönlichkeit: Auch Persönlichkeitsmerkmale können einen Effekt auf den Erwerb und die Verwendung von Sprachen haben. Dazu zählt etwa, ob jemand generell Freude an der Kommunikation mit anderen Personen hat oder sich das Erlernen und Verwenden einer Sprache mehr oder weniger zutraut.

Dynamik der individuellen Mehrsprachigkeit

Individuelle Mehrsprachigkeit ist dynamisch. Die Fähigkeiten in den verschiedenen Sprachen verändern sich im Laufe der Zeit und aufgrund unterschiedlicher Bedürfnisse und Begebenheiten immer wieder, und können sich auch gegenseitig beeinflussen. Im Zusammenhang mit dieser Dynamik ist hervorzuheben, dass Sprachen „nicht in strikt voneinander getrennten mentalen Bereichen gespeichert [sind], sondern […] vielmehr gemeinsam eine kommunikative Kompetenz [bilden], zu der alle Sprachkenntnisse und Spracherfahrungen beitragen und in der die Sprachen miteinander in Beziehung stehen und interagieren“ (Europarat, 2001, S. 17). Damit verbunden ist die Fähigkeit, je nach Kommunikationssituation unterschiedliche sprachliche Mittelaus dem verfügbaren Repertoire unterschiedlicher Einzelsprachen auszuwählen.

Individuelle Mehrsprachigkeit in Schule und Kita nutzen

Die Berücksichtigung individueller Mehrsprachigkeit von Kindern und Jugendlichen in Kita und Schule ist zielführend für den Erwerb sprachlicher und fachlicher Kompetenzen und trägt zur Persönlichkeitsentwicklung der Lernenden bei. Entsprechende Ideen und Anregungen für die Schule finden sich z. B. im Basiswissen Mehrsprachige Unterrichtselemente(Bredthauer, Kaleta & Triulzi, 2021) und der Handreichung Mehrsprachige Unterrichtselemente (Bredthauer, Kaleta & Triulzi, im Erscheinen) sowie im Methodenpool für sprachsensiblen Fachunterricht(Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache, o. J.). Fachkräfte im Elementarbereich finden beispielsweise auf einer Internetseite der Universität Hamburg und in dem Buch Mehrsprachigkeit in der KiTa: Grundlagen, Konzepte, Bildung (Chilla & Niebuhr-Siebert, 2017) Tipps und Anregungen.

Das Basiswissen Individuelle Mehrsprachigkeit als Download.

Autorinnen und Autoren

Dr. Stefanie Bredthauer, Dr. Christoph Gantefort, Prof. Dr. Nicole Marx, Dr. Till Woerfel

Dieser Text darf, unter Einhaltung der gängigen Zitierregeln und mit Angabe der Quelle, gern weiterverwendet werden: Bredthauer, Stefanie; Gantefort, Christoph; Marx, Nicole & Woerfel, Till (2021). Individuelle Mehrsprachigkeit. Köln: Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache (Basiswissen sprachliche Bildung).

Literatur

Bredthauer, Stefanie; Kaleta, Magdalena & Triulzi, Marco (im Erscheinen). Mehrsprachige Unterrichtselemente – eine Handreichung für Lehrkräfte. Köln: Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache.

Chilla, Solveig & Niebuhr-Siebert, Sandra (2017). Mehrsprachigkeit in der KiTa: Grundlagen, Konzepte, Bildung. Stuttgart: Kohlhammer.

Europarat (2001). Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Berlin: Langenscheidt.

Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache (o. J.): Methodenpool für sprachsensiblen Fachunterricht. Verfügbar unter: https://www.mercator-institut-sprachfoerderung.de/de/publikationen/material-fuer-die-praxis/methodenpool/ (abgerufen am 08.12.2020).>

Weiterführende Literatur/Informationen

Bainski, Christiane; Benholz, Claudia; Fürstenau, Sara; Gantefort, Christoph; Reich, Hans H. & Roth, Hans-Joachim (2017). Diskussionspapier Mehrsprachigkeit NRW. Ansätze und Anregungen zur Weiterentwicklung sprachlicher und kultureller Vielfalt in den Schulen. Düsseldorf: Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen. Verfügbar unter: https://www.uni-due.de/imperia/md/content/prodaz/msw-diskussionspapier-mehrsprachigkeit.pdf (abgerufen am 04.01.2021.)

Bredthauer, Stefanie; Kaleta, Magdalena & Triulzi, Marco (2021b). Mehrsprachige Unterrichtselemente (Basiswissen sprachliche Bildung). Köln: Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache.

Gogolin, Ingrid; Hansen, Antje; McMonagle, Sarah & Rauch, Dominique (Hrsg.) (2020). Handbuch Mehrsprachigkeit und Bildung. Wiesbaden: Springer.

Jahreiß, Samuel (2018). Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit wertschätzen: Ideen und Materialien für den Kita-Alltag. Theorie und Praxis der Sozialpädagogik, (5), 42–46. Verfügbar unter: https://www.mehrsprachigkeit.uni-hamburg.de/foerderung-von-mehrsprachigkeit/tps-5-18-042-046-spektrumjahreiss.pdf (abgerufen am 11.01.2021).

...in der Kita (o. J.). Verfügbar unter: https://www.mehrsprachigkeit.uni-hamburg.de/foerderung-vonmehrsprachigkeit/in-der-kita.html (abgerufen am 11.01.2021).>