
Sprachliches Lernen digital: Zuhören fördern
Wie können Lehrkräfte die rezeptiven mündlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten ihrer Schülerinnen und Schüler mithilfe digitaler Medien nutzen und zugleich unterstützen? Antworten darauf und zahlreiche Tipps sowie praktische Tools liefert das Mercator-Institut in dieser Handreichung der Reihe "Unterricht und sprachliches Lernen digital".
Im Internet steht ein breites Angebot an Audio- und Videoformaten zur Verfügung. Dies eröffnet einerseits neue Potenziale für die Wissensaneignung. Andererseits können Lehrkräfte es nutzen, um die Zuhörkompetenzen sowie weitere sprachbezogene Fähigkeiten und Fertigkeiten ihrer Schülerinnen und Schüler zu fördern. Dazu zählen beispielsweise der Ausbau des Wortschatzes und die Sprachreflexion. Damit dies gelingt, müssen Lehrkräfte darauf achten, dass Audio- und Videobeiträge bestimmte Qualitätskriterien erfüllen und den sprachlichen und fachlichen Kompetenzen der Lernenden entsprechen. Zudem ist es zentral, dass sie den Rezeptionsprozess durch geeignete Aufgabenstellungen und sowohl vorbereitende als auch anschließende Kommunikation im Klassenverband oder in Kleingruppen didaktisch rahmen. Diese Handreichung zeigt, wie Lehrkräfte die rezeptiven mündlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten ihrer Schülerinnen und Schüler mithilfe digitaler Medien nutzen und zugleich unterstützen können.
Hintergrund: Bildungssprachliche Kompetenzen in allen Fächern mit digitalen Medien entwickeln
Unterricht ist in weiten Teilen sprachlich-kommunikativ organisiert: Schülerinnen und Schüler sprechen und hören, lesen und schreiben, sie tauschen sich im Medium der gesprochenen und geschriebenen Sprache aus und nutzen sie zum Lernen. Zu den bildungssprachlichen Kompetenzen zählen zum einen die mündlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten, ohne die kein Unterricht auskommt. Das bedeutet, dass Schülerinnen und Schüler in der Lage sind, sich in monologischen und dialogischen Gesprächssituationen zuzuhören und sich im Gespräch über Sachverhalte mit anderen zu verständigen. Dafür ist es erforderlich, dass sie eigene Ideen und Gedanken verständlich und zusammenhängend formulieren können. In der Schule kommt dabei dem Sprechen über absente und abstrakte Sachverhalte eine besondere Bedeutung zu. Darunter versteht man unter anderem die Kompetenz, etwas erklären oder für die eigene Position argumentieren zu können. Zum anderen gehört die Textkompetenz zu den bildungssprachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Damit ist die Lese- und Schreibkompetenz gemeint, also dass Schülerinnen und Schüler in der Lage sind, Texte für eigene Ziele zu nutzen und zu produzieren. Texte lesen und verfassen gehört in fast allen Fächern zu den zentralen Aufgabenformaten, weil es sowohl selbstständiges und vertieftes Lernen als auch Aneignen von Wissen ermöglicht.
In den Handreichungen zum Themenbereich Bildungssprachliche Kompetenzen in allen Fächern mit digitalen Medien entwickeln zeigen die Autorinnen und Autoren auf, wie Lehrkräfte die unterschiedlichen bildungssprachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten, die in allen Fächern benötigt und gefördert werden, gezielt auch durch digitale Medien unterstützen können. Konkret geht es darum, wie Lehrkräfte das Zuhören und das Sprechen schulen können, wie sich die Lesekompetenz und die Schreibkompetenz entwickeln lässt und wie Lernende ihren Wortschatz auch fachspezifisch erweitern und lernen können, mit Sprache bewusst umzugehen.
Didaktische Einordnung
Sowohl für das fachliche als auch für das soziale Lernen sind Zuhörkompetenzen äußerst wichtig. Sie gewinnen mit der rapide wachsenden Anzahl von Audio- und Videoangeboten noch weiter an Bedeutung. Gleichzeitig setzen Lehrkräfte die Fähigkeiten und Fertigkeiten im Zuhören häufig als gegeben voraus (vgl. Imhof 2004: 2). Jedoch bauen Lernende die rezeptiven mündlichen Kompetenzen erst im Laufe der Schulzeit und in allen Fächern aus. Durch einen gezielten Einsatz auditiver oder audiovisueller Medien können Lehrkräfte nicht nur Inhalte vermitteln, sondern auch die Zuhörkompetenzen der Schülerinnen und Schüler fördern. Sie haben zum einen die Möglichkeit mit wenigen, teilweise einfach zu bedienenden Tools selber Audio- oder Videodateien zu erstellen. Zum anderen können sie auf ein breites, im Internet zur Verfügung stehendes Angebot zurückgreifen (→ Handreichung Informationen recherchieren und bewerten).
Einsatz verschiedener Audio- und Videobeiträge im Unterricht
Denkbar ist beispielsweise, dass Lehrkräfte im Unterricht Podcasts einsetzen. Dabei handelt es sich um Audiobeiträge, die sich Interessierte – eingebunden in regelmäßig oder unregelmäßig erscheinende Serien – über Homepages (Mediatheken, aber auch spezielle Podcast-Sammlungen, z. B. www.podcast.de) oder über Streaming-Dienste und Apps (z. B.iTunes/Apple Podcasts, Spotify, Podcast & Radio Addict) streamen oder herunterladen und zu selbst gewählten Zeitpunkten anhören können. Podcasts, die es zu allen erdenklichen Themen gibt, dienen nicht nur der Unterhaltung, sie erfüllen oftmals auch eine Informations- und Bildungsfunktion. Häufig werden Radiobeiträge nach der Ausstrahlung als Podcasts zur Verfügung gestellt. Sie lassen sich verschiedenen Genres zuordnen: Von monologisch ausgerichteten Sendeformaten über Interviews bis hin zu aufwändiger produzierten Features, bei denen mehrere Sprecherinnen und Sprecher in unterschiedlichen Szenen zu hören sind. Oftmals setzen die Produzentinnen und Produzenten gezielt Hintergrundgeräusche und -musik ein. Ebenfalls als Stream oder als downloadbare Audiodateien gibt es Hörbücher und Hörspiele. Im Unterschied zu Podcasts sind diese nicht in Sendereihen eingebunden. Während Hörbücher in der Regel von einer Person eingesprochen werden und dabei auf Hintergrundgeräusche verzichtet wird, wirken an Hörspielen mehrere Sprecherinnen und Sprecher mit, und ihre Handlungen werden zumeist von Geräuschkulissen begleitet.
Auch Videos gibt es in ganz unterschiedlichen Sendeformaten, die etwa über Mediatheken oder Hosting-Plattformen wie YouTube oder vimeo zu finden sind. Neben gängigen Film- und Fernsehformaten, wie z. B. Nachrichtensendungen, Dokumentarfilme, Reportagen und Talkrunden, die Interessierte on demand abrufen können, haben sich internettypische Genres, beispielsweise der Vlog (= Video Blog) oder der Vodcast (= Video Podcast) entwickelt. Dabei ist die Abgrenzung der verschiedenen Genres zum Teil unscharf.
Didaktische Rahmung entscheidend bei Nutzung von Audio- und Videoformaten
Sowohl die herkömmlichen als auch die neu entwickelten Audio- und Videoformate eignen sich teilweise für die Verwendung im Unterricht, selbst wenn sie nicht speziell für diesen Zweck entwickelt wurden. Entscheidend ist immer, dass Lehrkräfte dabei eine angemessene didaktische Rahmung gestalten. Das gilt auch für Formate, die speziell für Bildungszwecke produziert wurden, wie Lehrfilme und Erklärvideos. Diese sind im Internet ebenfalls in großer Anzahl verfügbar, beispielsweise über die Schulfernseh-Mediatheken Planet Schule (WDR und SWR) oder BR Alpha Lernen. Auf YouTube gibt es zahlreiche Kanäle (Channels), beispielsweise Terra X statt Schule (für die Fächer Politik, Kunst, Musik, Religion, Philosophie, Ethik und die Naturwissenschaften), Musste wissen (für die Fächer Mathematik, Chemie, Physik und Deutsch) oder Mr Wissen to go (insbesondere für das Fach Geschichte). Zudem bieten einige Schulbuchverlage sowie das Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht Videos und Begleitmaterialien über ihre Internetseiten an. Die Verwendung ist dabei in der Regel kostenpflichtig. Über den kommerziellen Anbieter Binogi sind außerdem Erklärvideos für Themengebiete aus acht unterschiedlichen Fächern der Sekundarstufe I in acht verschiedenen Sprachen verfügbar.
Lehrfilme und Erklärvideos weisen ein hohes Maß an Didaktisierung auf, sie unterscheiden sich aber in ihrem Anspruch auf Vollständigkeit: Während Lehrfilme darauf ausgelegt sind, Themen umfänglich zu beleuchten, konzentrieren sich Erklärvideos meist auf einzelne Themenausschnitte (vgl. Findeisen et al. 2019: 18). Sie werden dabei auf unterschiedliche Weisen gestaltet: Eine mündliche Erklärung lässt sich mithilfe eines gefilmten Vorganges, mit Animationen oder Vortragsfolien (beispielsweise in PowerPoint) visualisieren. Häufig finden sich auch Videos, in denen die Produzentinnen und Produzenten die sogenannte Legetechnik anwenden. Dabei ordnen sie – begleitet von einer mündlichen Erklärung – Gegenstände, Wort- oder Bildkarten auf einer Tischplatte an und verschieben sie immer wieder. Eine andere Möglichkeit besteht darin zu filmen, wie auf einer Tafel, einem Whiteboard, einer Flipchart oder einem Grafiktablett eine Skizze oder ein Tafelbild angefertigt und wichtige Schlagwörter notiert werden (Live-Drawing). Eine Unterart der Erklärvideos stellen Tutorials bzw. How-to-Videos dar, in denen Personen Tätigkeiten demonstrieren und erklären (Lernen am Modell). Besonders lernförderlich sind sie, wenn dabei aus der Perspektive der handelnden Person gefilmt wird. So muss eine Rezipientin bzw. ein Rezipient keinen Perspektivenwechsel vollziehen, wenn sie oder er diese Handlung nachmacht (vgl. Fiorella et al., 2017). Handelt es sich um Anleitungen für Tätigkeiten, die Personen am Bildschirm ausführen, bestehen diese Videos in der Regel aus Bildschirmaufzeichnungen, die mit einem Audiokommentar versehen sind (Screencasts).
Qualität von Audio- und Videoformaten überprüfen
Schülerinnen und Schüler greifen oft eigenständig auf diese Angebote zurück, um sich Lerninhalte anzueignen oder nachzuarbeiten (Wolf 2015). Die JIM-Studie aus dem Jahr 2019 ergab, dass rund 20 Prozent der befragten Jugendlichen regelmäßig Videotutorials zu außerschulischen Themen und 18 Prozent zu schulischen Themen ansehen (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2019: 41). So groß wie das Angebot an verfügbaren Lehrfilmen und Erklärvideos von professionellen wie privaten Anbietern ist, so groß sind die Qualitätsunterschiede.
Lehrkräfte, aber auch die Schülerinnen und Schüler selbst (→ Handreichung Informationen recherchieren und bewerten), sollten darum bei der Auswahl von Audio- und Videomaterial eine Reihe von Kriterien beachten: Das Material sollte fachlich und sprachlich zu den Kompetenzen der Lernenden passen, es sollte inhaltlich korrekt sowie sprachlich verständlich sein und eine angemessene Länge haben. Weil sich Letztere nachweislich auf das Engagement der Rezipientinnen und Rezipienten auswirkt, ist es ratsam, Erklärvideos mit einer maximalen Dauer von sechs Minuten einzusetzen (Guo, Kim und Rubin, 2014, vgl. Krämer & Böhrs, 2017). Zusätzliche Qualitätsmerkmale zur Beurteilung von Lehrvideos, die sich überwiegend auf Audiodateien übertragen lassen, finden sich hier.
Findeisen et al. (2019) bringen als Qualitätskriterium die Verfügbarkeit von Zusatzmaterialien (z. B. Links zu weiterführenden Informationen) an, mit denen Lehrkräfte Schülerinnen und Schüler dazu anregen können, sich aktiv mit den Inhalten auseinanderzusetzen. Bei der Rezeption von Videos ist es für Lernende schwieriger, Informationen zu verarbeiten, da sich Inhalte schnell verändern und flüchtig präsentiert werden. Deswegen sollten sie die Möglichkeit haben, ein Video selbstgesteuert zu pausieren und gezielt zu einer gewünschten Stelle springen zu können. Dies ist streng genommen keine Eigenschaft der Videos und Audiodateien selbst, sondern des jeweiligen Medienplayers, mit dem diese abgespielt werden.
Videos oder Audios können aber auch durch gestalterische Elemente – beispielsweise durch eingeblendete Zwischenfolien oder -melodien – so beschaffen sein, dass Nutzerinnen und Nutzer ihre inhaltliche Strukturierung besser nachvollziehen können. Diese Stellen eignen sich ebenfalls, um bei Bedarf Pausen einzulegen, sodass Schülerinnen und Schüler zusätzlich Zeit haben, die Inhalte kognitiv zu verarbeiten. Das kommt den unterschiedlichen Lerngeschwindigkeiten oder kognitiven Voraussetzungen zugute (vgl. Findeisen et al., 2019: 30). Die individuelle Rezeption von Audiodateien oder Videos beim Lernen auf Distanz kann in dieser Hinsicht vorteilhaft gegenüber dem gemeinsamen Anhören oder Anschauen in der Schule sein (vgl. Buchberger et al., 2011:3).
Methodische Umsetzung
Damit der Kompetenzausbau im Bereich Zuhören gelingt, ist es entscheidend, dass Schülerinnen und Schüler dazu vielfältige Gelegenheiten in verschiedenen Gesprächsformen und mit unterschiedlichen gesprochenen Textsorten erhalten. Beim Einsatz von Audios und Videos ist zu beachten, dass sie sich abhängig von ihrer Konzeption und ihrer inhaltlichen Komplexität mehr oder weniger gut für die verschiedenen Phasen im Unterrichtsverlauf eignen: zum Einstieg, für die Erarbeitungsphase, zur Wiederholung oder zum Abschluss.
Kurze Beiträge zum Einstieg
Für den Einstieg in ein Thema bieten sich eher kurze Hörbeiträge oder Videos an, in denen eine Fragestellung angerissen, Neugier auf ein Thema geweckt und Vorwissen aktiviert wird sowie Schülerinnen und Schüler angeregt werden, weitere Fragen oder Hypothesen zum Thema zu entwickeln. Alternativ können sie nur den Beginn eines Beitrags rezipieren. In diesem Fall sollten Lehrkräfte genaue Anweisungen geben, welche Stellen sich die Lernenden anschauen bzw. anhören sollen.
Entlastung des Wortschatzes in der Erarbeitungsphase
Setzen Lehrkräfte Audios bzw. Videos innerhalb der Erarbeitungsphase ein, sollte neben einer Aktivierung des Vorwissens vorab eine Entlastung des Wortschatzes erfolgen. Dazu untersuchen Lehrkräfte beispielsweise die Beiträge zuvor gezielt auf vermutlich unbekannte Wörter, die zentral für das Verstehen sind. Tauchen solche Wörter auf, können sie diese den Lernenden vorab erklären. Zudem haben sie die Möglichkeit, Schülerinnen und Schüler zu instruieren, sich Wörter mit unklarer Bedeutung oder Zeitangaben von generell unverständlichen Sequenzen zu notieren. Bei (neu) zugewanderten Schülerinnen und Schülern – insbesondere, wenn in lateinischem Alphabet literalisiert – können gegebenenfalls Transkripte oder Untertitel helfen. Transkripte können Lehrkräfte etwa bei ReadLang hochladen und mit den Video- oder Audiodateien verlinken. Lernende haben so die Gelegenheit, mittels dieses Tools den Text parallel zum Zuhören mitzulesen und sich Übersetzungen unbekannter Wörter anzeigen zu lassen. Eine Übersetzung wird derzeit in 60 verschiedene Sprachen angeboten. Die angeklickten Wörter werden in einer Wortliste gespeichert. Schülerinnen und Schüler können sie mithilfe von Flashcards üben und sich die Wörter dabei nochmals einzeln angehören. Ähnlich funktioniert das Tool LingQ.
Kommunikation nach Rezeption einplanen
Auf die Rezeption eines Audios oder Videos sollte stets eine Anschlusskommunikation erfolgen: So haben Schülerinnen und Schüler beispielsweise die Chance, erste Eindrücke und Ideen sowie Fragen zu dem Thema zu äußern und sich auszutauschen. Bei Bedarf lassen sich zudem Bedeutungen unbekannter Wörter oder das Verständnis von längeren Sequenzen klären. Findet die Rezeption beim Lernen auf Distanz zu individuell verschiedenen Zeitpunkten statt, kann auch die Anschlusskommunikation asynchron (zeitversetzt) erfolgen – je nach digitaler Lernumgebung beispielsweise in einem Chat oder über eine Umfrage. Wird eine Datei in ein Padlet eingebunden, können Lehrkräfte ebenfalls die Kommentarfunktion nutzen. In einigen Lernmanagementsystemen, wie z. B. ILIAS, ist es außerdem möglich, an einzelnen Stellen eines Videos Kommentare einzufügen. Selbst wenn der Austausch auf schriftlichem Wege erfolgt, sollten Lehrkräfte bei den Kommentaren Formulierungen zulassen, die eher dem mündlichen Sprachgebrauch entsprechen, und sie gegebenenfalls in einer Antwort bildungssprachlich umformulieren (modellieren). Mit der Webapplikation VoiceThread ist es zudem möglich, dass Schülerinnen und Schüler Audiokommentare zu Videos erstellen. Zusätzlich lassen sich einzelne Stellen in den Videos mit diesem Tool markieren und kommentieren.
Arbeit mit digitalen Medien in Tandems und Kleingruppen
Eine synchrone Anschlusskommunikation kann im Plenum (in der Klasse oder in einer Online-Konferenz) oder in einem Chat erfolgen. Denkbar ist darüber hinaus, dass Schülerinnen und Schüler einen Audiobeitrag oder ein Video während einer Videokonferenz in Tandems oder Kleingruppen mithilfe eines geteilten Bildschirms und geteiltem Ton gemeinsam anhören bzw. anschauen. Sie können sich währenddessen oder direkt im Anschluss daran mündlich austauschen und sich gegebenenfalls gegenseitig unterstützen, wenn sprachliche oder inhaltliche Verständnisschwierigkeiten auftreten. Gegebenenfalls kann der Austausch in der Familiensprache erfolgen. Die Rezeption in einem Tandem bzw. einer Kleingruppe hat – wie auch die individuelle Rezeption – gegenüber einem gemeinsamen Anhören oder Anschauen im Plenum den Vorteil, dass Schülerinnen und Schüler selber entscheiden können, ob sie eine kurze Pause einlegen möchten (z. B. um sich eine Notiz zu machen), eine Stelle noch einmal anhören bzw. anschauen oder eine Frage oder Anmerkung äußern möchten. Die Aufgabenstellung sollte explizit auf diese Möglichkeiten hinweisen und klare Zuhör- bzw. Zuschauaufträge bzw. Fragestellungen beinhalten. Bei komplexeren Beiträgen bietet sich ein kleinschrittiges Vorgehen an, bei dem Lehrkräfte – orientiert an der inhaltlichen Strukturierung des Hörtextes oder Videos – Stellen vorgeben, an denen Schülerinnen und Schüler diese unterbrechen sollen. So können sich Lernende eine Antwort, die im Beitrag auf eine Frage gegeben wird, zunächst notieren, bevor sie die nächste Fragestellung bearbeiten. Eine weitere Möglichkeit, die Rezeption zu lenken, besteht darin, ein Arbeitsblatt zum gezielten Anfertigen von Notizen an die Hand zu geben. Schülerinnen und Schüler können ihre Ergebnisse im Anschluss in den Gruppen abgleichen und bei Bedarf Verständnisschwierigkeiten klären. Dabei haben sie Gelegenheit zu thematisieren, was ihnen beim Anfertigen der Notizen geholfen hat und mit welchen sprachlichen und grafischen Mitteln sich Notizen übersichtlich strukturieren lassen.
Videos, in denen Inhalte zusammenfassend dargestellt werden, eignen sich mitunter eher als Wiederholung oder Abschluss einer Unterrichtssequenz. An die Rezeption kann sich dann eine Wissensüberprüfung, beispielsweise über ein Quiz (z. B. mit Kahoot oder Quizlet), anschließen.
Aufmerksamkeitssteuerung als Gelingensfaktor
Zentral für ein gelingendes Zuhören und Zuschauen ist die Fähigkeit zur Aufmerksamkeitssteuerung, sodass Schülerinnen und Schüler aus einer Vielfalt akustischer und visueller Informationen die relevanten zielgerichtet auswählen und verarbeiten können. Im Sinne eines selbstregulierten Lernens kann es darum sinnvoll sein, dass Lehrkräfte den Lernenden Anregungen geben, ihr Zuhör- bzw. Zuschau-Verhalten zu reflektieren. Dies kann beispielsweise mithilfe einer Vorlage in einem digitalen Notizbuch oder durch eine Umfrage erfolgen. Bei Letzterer sollten Schülerinnen und Schüler ihre Ergebnisse abspeichern können, damit sie in der Lage sind, ihren eigenen Lernverlauf nachzuvollziehen. Werden die Ergebnisse einer ganzen Klasse zusammengetragen, können Lehrkräfte rasch erkennen, wo welche Schwierigkeiten aufgetreten sind. Sie sind dadurch in der Lage, Aufgabenstellungen im weiteren Verlauf so zu modifizieren, dass das Zuhören besser gelingt. Darüber hinaus bietet es sich an, – auch gemeinsam mit der Klasse – eine Sammlung von Tipps für gelingendes Zuhören bzw. Zuschauen aufzustellen.
Reflexion über Machart der Medien einbinden
An die inhaltliche Auseinandersetzung mit Audio oder Videobeiträgen kann sich weiterhin eine Reflexion über die Machart anschließen (vgl. Medienberatung NRW (2020: 11), Punkt 4.2: „Gestaltungsmittel von Medienprodukten kennen (...) sowie hinsichtlich ihrer Qualität, Wirkung und Aussageabsicht beurteilen“; Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (2016: 19), Punkt 6.1.1.: „Gestaltungsmittel von digitalen Medienangeboten kennen und bewerten“). Dabei stehen folgende Fragen im Fokus: Welche Struktur zeigt der Beitrag auf? Welche sprachlichen Mittel kommen darin vor, wie werden die Zuhörenden oder Zuschauenden angesprochen? Wie wird die Stimme eingesetzt? Welche gestalterischen Mittel (Hintergrundgeräusche und -musik, Bilder) wurden genutzt und wie gut passen sie zum gesprochenen Text? Welche Wirkung wird dadurch erzielt? Hiervon ausgehend ist denkbar, dass Lernende gemeinsam mit der Lehrkraft Kriterien für gelungene Podcasts oder Erklärvideos aufstellen. Schülerinnen und Schüler können im Anschluss selbst ausgewählte Audios oder Videos präsentieren und anhand dieser Kriterien bewerten. Sie müssen ihre Auswahl dabei nicht auf deutschsprachige Audio- und Videodateien begrenzen, sodass sie auch ihre mehrsprachigen Kompetenzen einbringen können.
Quellen
Buchberger, Gerlinde; Chardaloupa, Johanna; Perperidis, Georgios & Heckmann, Verena (2011). Fremdsprachen - Mit Technologien Sprachen lernen und lehren. In Martin Ebner & Sandra Schön (Hrsg.), Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien. (S. 435-443) Berlin: epubli.
Findeisen, Stefanie; Horn, Sebastian & Seifried, Jürgen (2019). Lernen durch Videos – Empirische Befunde zur Gestaltung von Erklärvideos. MedienPädagogik, 16–36.
Fiorella, Logan; van Gog, Tamara; Hoogerheide, Vincent & Mayer, Richard E. (2017). It’s all a matter of perspective: Viewing first-person video modeling examples promotes learning of an assembly task. Journal of Educational Psychology, 109 (5), 653–665.
Guo, Philip; Juho, Kim & Rob, Rubin (2014). How video production affects student engagement: An empirical study of MOOC videos (S. 41–50). In Mehran Sahami, Armando Fox, Marti A. Hearst & Michelene T. H. Chi (Hrsg.), Proceedings of the first ACM conference on Learning. New York: ACM Press.
Imhof, Margarete (2004). Zuhören und Instruktion. Münster/New York: Waxmann.
Krämer, Andreas & Böhrs, Sandra (2017). How do consumers evaluate explainer videos? An empirical study on the effectiveness and efficiency of different explainer video formats. Journal of Education and Learning, 6 (1), 254–266.
Medienberatung NRW (2020). Medienkompetenzrahmen NRW. Düsseldorf. Verfügbar unter: https://medienkompetenzrahmen.nrw/fileadmin/pdf/LVR_ZMB_MKR_Broschuere.pdf
(abgerufen am 24.07.2020).
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.) (2019). JIM-Studie 2019. Jugend, Information, Medien – Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. Stuttgart.
Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.) (2016). Bildung in der digitalen Welt – Strategie der Kultusministerkonferenz. Berlin. (abgerufen am 24.07.2020)
Wolf, Karsten D. (2015). Video-Tutorials und Erklärvideos als Gegenstand, Methode und Ziel der Medien und Filmbildung. In Anja Hartung-Griemberg, Thomas Ballhausen, Christine Trültzsch-Wijnen, Alessandro Barberi & Katharina Kaiser-Müller (Hrsg.), Filmbildung im Wandel. Wien: new academic press.
Impressum
Die Handreichungen Unterricht und sprachliches Lernen digital sind das Ergebnis einer Arbeitsgruppe am Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache, die sich mit den Anforderungen an sprachliche Bildung in der digitalisierten Welt während und nach der Corona-Pandemie beschäftigt hat. Mitglieder der Arbeitsgruppe (in alphabetischer Reihenfolge) sind: Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek, Ilka Huesmann, Michaela Mörs, Dr. Till Woerfel.
Diese Publikation darf, unter Einhaltung der gängigen Zitierregeln und mit Angabe der Quelle, gern weiterverwendet werden: Mörs, Michaela (2020): Bildungssprachliche Kompetenzen in allen Fächern mit digitalen Medien entwickeln. Zuhören fördern. Köln: Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache.
© 2020 Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache
Autorin: Michaela Mörs
Redaktion: Michael Becker-Mrotzek, Ilka Huesmann, Frauke König, Till Woerfel
www.mercator-institut-sprachfoerderung.de
Die Inhalte dieser Seite stehen unter der Lizenz CC BY ND (Creative Commons Namensnennung - Keine Bearbeitungen 4.0 International). Unter Beachtung der Lizenzbedingungen ist es Dritten gestattet, die Inhalte der Seite zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen, sofern dabei das Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache genannt wird.