
Sprachliche Bildung im digitalen Wandel
Wie Sprache und sprachliche Bildung unter Bedingungen der Digitalität gelingt, von welchen Kompetenzen sie abhängig sind und wie digitale Medien im sprachsensiblen Unterricht genutzt werden können – das erklärt dieses Basiswissen.
Definition
Unter sprachlicher Bildung versteht man die systematische Förderung der Kompetenzen Lesen, Schreiben, Sprechen und Zuhören sowie den Auf- und Ausbau von Bildungs- und Fachsprache. Eine zeitgemäße sprachliche Bildung bezieht Kompetenzen mit ein, die sich unter den veränderten Bedingungen einer von Digitalität geprägten Gesellschaft ergeben. Dazu zählen das (gemeinschaftliche) Lesen, Schreiben und Kommunizieren im digitalen Raum, deren Kompetenzausbau ebenfalls Teil sprachlicher Bildung ist.
Sprache und sprachliche Bildung unter Bedingungen der Digitalität
In unserer von Digitalität geprägten Gesellschaft gehört die Nutzung digitaler Medien im Privatleben, in Beruf, Bildungsinstitutionen oder Behörden weitgehend zum Alltag. Dadurch haben sich auch die sprachlichen Anforderungen für eine mündige und verantwortungsvolle Teilhabe am beruflichen, gesellschaftlichen und politischen Leben erweitert (vgl. Eickelmann, Bos, Gerick & Labusch, 2019, S. 80 [ICILS]). Denn für die meisten digitalen Aktivitäten ist der Gebrauch von Sprache unverzichtbar, da Nutzerinnen und Nutzer digitale Inhalte in der Regel über Sprache und Text rezipieren und mithilfe von digitalen Technologien laufend produzieren und reproduzieren (vgl. Stalder, 2016, S. 137). Dies geschieht etwa, wenn wir Informationen im Internet recherchieren, kommunizieren, digitale Texte lesen und schreiben sowie multimediale Formate (z. B. Websites, Präsentationen oder Videos) gestalten.
Digitale Aktivitäten unterliegen im Vergleich zu analogen Tätigkeiten besonderen sprachlichen Bedingungen. Digitale Texte sind häufig durch Hyperlinks (Querverweise) miteinander verbunden und vereinen verschiedene mediale Formen wie Text, Bild und Videos (vgl. Frederking & Krommer, 2019). Die Rezeption solcher Texte erfordert unter anderem die Fähigkeit, die inhaltlichen Verknüpfungen zwischen den digitalen Texten und Textelementen herzustellen sowie die dargestellten Informationen kritisch zu reflektieren und zu bewerten. Die Produktion wiederum verlangt einen kompetenten Umgang mit Tastatur und Textverarbeitungsprogrammen sowie ein Wissen über das Verfassen digitaler Textsorten. Für die Teilhabe an einer digitalisierten Gesellschaft sind demnach erweiterte digitalisierungsbezogene Kompetenzen notwendig. Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass die digitalisierungsbezogenen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern in Deutschland noch ausbaufähig sind (Eickelmann et al., 2019, S. 127).
Zudem ist aus der ICIL-Studie 2018 sowie der PISA-Studie 2018 bekannt, dass digitalisierungsbezogene Kompetenzen ebenso wie die sprachlichen Kompetenzen in erheblichem Umfang abhängig sind vom sozioökonomischen Status der Familien. Für Schülerinnen und Schüler, die in diesen Bereichen ohnehin benachteiligt sind, besteht also die Gefahr, weiter abgehängt zu werden. Somit muss die Ausbildung digitalisierungsbezogener Sprachkompetenzen als integraler Bestandteil sprachlicher Bildung und damit als Querschnittsaufgabe von Schule und Unterricht verstanden werden. Die Umsetzung erfolgt idealerweise im Fachunterricht, da sich auch digitale sprachliche Aktivitäten von Fach zu Fach unterscheiden können.
Doch nicht nur das gesellschaftliche und berufliche Leben unterliegen einem digitalen Wandel und erfordern spezifische sprachliche Kompetenzen, sondern auch das Bildungssystem selbst ist von der digitalen Transformation geprägt. Diese äußert sich u. a. darin, dass digitale Medien und Tools zunehmend für die Unterrichtsplanung, -durchführung und -organisation zum Einsatz kommen. Für die sprachliche Bildung sind damit Chancen verbunden, die Lehrkräfte und Lernende für sich gewinnbringend nutzen können.
Digitale Medien im sprachsensiblen Unterricht
Digitale Medien erleichtern die Kommunikation und unterstützen die sprachsensible Unterrichtsplanung insofern, als Lehrkräfte digitale sprachliche Hilfen individualisiert sowie zeit- und ortsunabhängig zum Beispiel auf Lernplattformen oder als QR-Codes bereitstellen können.
Dabei unterscheiden sich digitale Angebote mit ausgewiesenem Sprachbildungsbezug von solchen, die zwar nicht explizit für sprachbildende Zwecke entwickelt wurden, aber dennoch zur Förderung sprachlicher Kompetenzen genutzt werden können.
Über einen Sprachbildungsbezug verfügen beispielsweise die DSGVO-konformen digitalen Tools und praxisorientierten Ideen von kits des Niedersächsischen Landesinstituts für schulische Qualitätsentwicklung, die z. B. Anwendungen zur Erstellung von Flussdiagrammen für die Erschließung komplexer Sachtexte sowie Tools zur kollaborativen Textverarbeitung umfassen.
Ein weiteres Tool mit Sprachbildungsbezug ist beispielsweise das wissenschaftlich begleitete, web-basierte Workbook FeedBook für den Englischunterricht. Mithilfe von computergestützten Datenauswertungen (sogenannte Learning Analytics) erhalten Schülerinnen und Schüler automatisierte Rückmeldungen zu ihrem Lernfortschritt und können somit individuell beim Sprachenlernen unterstützt werden.
Digitale Angebote, die keinen ausgewiesenen Sprachbildungsbezug haben, können Lehrende ebenfalls sinnvoll einsetzen, um digitalisierungsbezogene Sprachkompetenzen zu fördern oder um sprachliche Hilfen bereitzustellen. Für die Aktivierung von Vorwissen und Arbeitsformen, die Kollaboration und (mehr)sprachliches Handeln ermöglichen, eignen sich zahlreiche Anwendungen (z. B. digitale Pinnwände, Übersetzungstools, kollaborative Textdokumente und Erklärvideo-Tools). Lehrende können auch hier unter anderem über QR-Codes in analogen oder mit Verlinkungen in digitalen Texten sprachliche Hilfen bereitstellen. Auch sprachlernförderliche Übungen und interaktive (Lern-)Inhalte können Lehrkräfte digital erstellen und automatisiert auswerten lassen, etwa mit der freien und quelloffenen Software H5P oder der Website LearningApps.
Das Basiswissen Sprachliche Bildung im digitalen Wandel als Download.
Autorin und Autor:
Ilka Huesmann & Dr. Till Woerfel
Dieser Text darf, unter Einhaltung der gängigen Zitierregeln und mit Angabe der Quelle, gern weiterverwendet werden: Huesmann, Ilka & Woerfel, Till (2022). Sprachliche Bildung im digitalen Wandel. Köln: Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache (Basiswissen sprachliche Bildung).
Literatur
Frederking, Volker & Krommer, Axel (2019). Digitale Textkompetenz. Ein theoretisches wie empirisches Forschungsdesiderat im deutschdidaktischen Fokus. Verfügbar unter: https://www.deutschdidaktik.phil.fau.de/files/2020/05/frederking-krommer-2019-digitale-textkompetenzpdf.pdf (abgerufen am 23.03.2022).
Stalder, Felix (2016). Kultur der Digitalität (1. Auflage). Berlin: Suhrkamp.>
Weiterführende Literatur/Informationen
unterrichten. Köln: Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache. Verfügbar
unter: https://www.mercator-institut-sprachfoerderung.de/fileadmin/Redaktion/PDF/Publikationen/
200805_Handreichung_A4_final.pdf (abgerufen am 23.03.2022).
Dede, Zoé; Huesmann, Ilka & Lemke, Valerie (2021). Bildungssprachliche Kompetenzen in allen Fächern mit digitalen Medien entwickeln. Schreibkompetenz fördern. Köln: Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache. Verfügbar unter: https://www.mercator-institut-sprachfoerderung.de/fileadmin/Redaktion/PDF/Publikationen/210518_Handreichung_B3_Schreibkompetenz.pdf (abgerufen am 23.03.2022).>
Bereits erschienen: Basiswissen sprachliche Bildung
Neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler
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Alltagsintegrierte sprachliche Bildung
Mehrsprachige Unterrichtselemente
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Alphabetisierung in Deutsch als Zweitsprache
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