13.04.2021
Bericht

Mündlichkeit und mehr - Unterricht multimodal erforschen. Bericht und Materialien zum Scienceworkshop

Was ist Multimodalität? Warum sollte mündliche Kommunikation multimodal untersucht werden? Und wie lässt sich das umsetzen? Diesen Fragen ging der Scienceworkshop "Mündlichkeit und mehr – Unterricht multimodal erforschen", durchgeführt von Jun.-Prof. Dr. Maxi Kupetz von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, auf der achten Jahrestagung des Mercator-Instituts am 2. März 2021 nach. Im Mittelpunkt stand die multimodale Erforschung der Kommunikation zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern.

Bei der Untersuchung von Kommunikation zwischen Personen ist nicht nur das entscheidend, was mündlich geäußert wird. Um Handlungen vollziehen und Bedeutung herstellen zu können setzen Menschen viele verschiedene Kanäle ein. Dazu gehören alle Ressourcen, die Personen nutzen, um sich verständlich zu machen und eine Bedeutung herzustellen. Das gilt auch für die Unterrichtssituationen.

Multimodale Beobachtung von Unterrichtskommunikation

Eine multimodale Erforschung von Unterrichtssituationen ist relevant, weil verschiedene Kanäle für sprachliches und fachliches Lehren und Lernen genutzt werden. Fachlich relevante Bedeutung wird immer multimodal hergestellt, z. B. die Koordination von Sprache mit Verweis auf Lehrmaterialien (Bücher, Folien, Tafelbilder etc.).

Darüber hinaus dient Multimodalität dem Interaktionsmanagement: Durch Körperhaltung und -position, Blickverhalten und prosodische Merkmale stellt die Lehrkraft Aufmerksamkeit her und kann Unterrichtsphasen gestalten. Eine solche Organisation von Unterrichtsinteraktion bildet den Grundstein für Bedeutungskonstitution und schließlich für das (sprachliche) Lernen.

Anhand der kinetischen Ressourcen (Körperhaltung und -position, Blickverhalten, Mimik, Gestik etc.) (z. T. auch als Körpersprache bezeichnet) lässt sich u. a. auch beobachten, wie das Verständnis der Lerneinhalte gesichert aber auch wie es nicht gesichert wird. Ein Beispiel: Während die Lehrkraft der Klasse zugewandt ist und aktiviert wirkt, liegt ein Schüler mit dem Kopf auf dem Tisch, andere Schülerinnen und Schüler wirken passiv. Diese Beobachtungen legen nahe, dass eine Verständnissicherung auf Seiten der Lernenden womöglich nicht stattgefunden hat.

Multimodale Transkriptionsverfahren

Verbaltranskripte von Unterricht können auf verschiedene Weisen um Notationen von kinetischen Handlungen (Gestik, Mimik, Blickverhalten etc.) ergänzt werden:

  • Standbilder, die Gestik, Mimik, Verweise auf Objekte etc. zeigen und/oder
  • Symbole für bestimmte (z. B. gestische) Handlungen und/oder
  • Beschreibungen von Handlungen.

Die drei Verfahren variieren darin, wie aufwendig und wie gut sie geeignet sind, die Prozesshaftigkeit einer Handlung darzustellen (z. B. sind Standbilder weniger aufwendig, dafür zeigen sie nur einzelne Momentaufnahmen). Die Auswahl einer geeigneten Transkriptionsmethode hängt demnach vom Schwerpunkt der Forschungsfrage ab.

Die zentralen Erkenntnisse des Workshops

  • Eine multimodale Erforschung von Unterrichtskommunikation ermöglicht ein viel komplexeres Verständnis der interaktionalen Prozesse sprachlichen Lehrens und Lernens im Vergleich zur Arbeit mit reinen Verbaltranskripten.  
  • Multimodal lässt sich eine Vielzahl von unterschiedlichen Beobachtungen machen: Zeigegesten und die Einbindung von Objekten sind Beispiele dafür, wie Lehrkräfte fachrelevante Bedeutung herstellen. Zudem sind Ressourcen wie Blickverhalten, Nicken etc. für Verstehensdarstellungen von Schülerinnen und Schülern relevant.
  • Eine multimodale Transkription ist weitaus aufwendiger als lediglich die Transkription von Gesprochenem. Es gibt nicht die eine perfekte Transkriptionsmethode; die ist ein Abwägungsprozess zwischen Vor- und Nachteilen des jeweiligen Verfahrens im Hinblick auf die Forschungsfrage.

Der Workshop im Rahmen der Jahrestagung verdeutlichte, wie relevant und bedeutsam multimodale Forschung ist. Darüber hinaus bot er erste Einblicke in methodische Überlegungen der Erhebung. Wie eine multimodale Untersuchung forschungspraktisch umgesetzt wird, z. B. wo am besten die Kamera aufgestellt wird, und wie die multimodalen Transkripte ausgewertet werden können, wie also die zusätzlichen Informationen zu den Handlungen in einem Transkript mit der Analyse der verbalen Information in Zusammenhang gebracht werden, wäre nun für interessierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der nächste Schritt.

Bezieht man multimodale Untersuchungen in der Erforschung mündlicher Kommunikation ein, lassen sich abschließend weitaus mehr Informationen über interaktionale Lehr-Lern-Prozesse gewinnen und – besonders auch im Kontext von sprachlichem Lernen – neue Forschungsfragen und Themengebiete erschließen.

Autorin und Autor:

Dr. Sonja Eisenbeiß ist seit Februar 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Sprache und Lernen am Mercator-Institut und seit Oktober 2016 am Institut für Linguistik, Abteilung Allgemeine Sprachwissenschaft, an der Universität zu Köln. In ihrer Forschung und Lehre befasst sie sich u. a. mit der kindlichen Sprachentwicklung, der Rolle von Eltern und Geschwistern beim Spracherwerb und dem Erlernen und Verstehen von Wörtern. Weitere Schwerpunkte sind Sprachspiele sowie Methoden zur Erhebung, Archivierung und quantitativen Auswertung von Sprachdaten.

Claus Caspari ist seit Februar 2020 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Mercator-Institut in der Abteilung Sprache und Lernen und berät die Mitarbeitenden in aktuellen Forschungsprojekten zur Konzeption und Auswertung quantitativer Studien. Seit Januar 2021 arbeitet er im Projekt zur Sekundäranalyse der NEPS-Daten zur sprachlichen Entwicklung von neu zugewanderten Schülerinnen und Schülern.