
Interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Ausbildung von Lehrkräften in der beruflichen Bildung
Lehrkräfte an beruflichen Schulen sind seit einigen Jahren mit einer wachsenden Sprach und Kulturvielfalt und größer werdenden Sprachdefiziten und Schwierigkeiten bei der Anwendung der geforderten Fach und Berufssprache konfrontiert. Wie können sie an der Hochschule erfolgreich auf diese Herausforderungen vorbereitet werden? Welche Diziplinen müssen zusammenarbeiten? Letzteres trifft sowohl für Schülerinnen und Schüler mit Deutsch als Fremd- und Zweitsprache als auch für solche mit Deutsch als Muttersprache zu. Das Bewusstsein dieses Sachverhalts und die rapide zunehmende Beschulung von Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern haben Bildungsadministration, Sprach und Fachdidaktik zum Handeln gedrängt. Wie können sie an der Hochschule erfolgreich auf diese Herausforderungen vorbereitet werden? Welche Diziplinen müssen zusammenarbeiten? Einblicke in das Projekt Bildungssprache Deutsch für berufliche Schulen, das bis 2017 vom Mercator-Institut gefördert wurde.
Gemeinsame Ziele
Bisher wurden die meisten Lehrkräfte an beruflichen Schulen in Bayern auf die Herausforderung eines sprachintegrierten Fachunterrichts nicht gezielt vorbereitet. Spätestens im Referendariat erlebten sie die Sprachschwierigkeiten der Schülerinnen und Schüler im Unterricht, jedoch fehlte es oft an Handlungskompetenz sowohl für die gezielte Förderung fachgerechter mündlicher und schriftlicher Kommunikation als auch für die Diagnose sprachlicher Kompetenzen. Um Studierenden die Möglichkeit anzubieten, neue Konzepte der Sprach- und Kulturvermittlung im Unterricht zu erleben und selbst Unterrichtssequenzen zu planen und durchzuführen, bedarf es einer konkreten Einbettung und intensiven (interdisziplinären) Betreuung in den Praxisphasen des Lehramtsstudiums. Dafür sind neue Angebote in Profilbildung und Basisqualifizierung nötig, aber auch vertiefende Wahlangebote an den Universitätsschulen und darüber hinaus ergänzende Lehrveranstaltungen der Sprach- und Fachdidaktiken. Anspruchsvolle Ziele bilden das Erkennen der besonderen Herausforderung der unterschiedlichen Fach- und Berufssprachen und die Entwicklung von Lösungskonzepten für die schulische Arbeit. Hier bietet die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Hochschuldidaktik große Chancen. Eine Herausforderung bilden allerdings Verständigungsschwierigkeiten, die wiederum auf die unterschiedlichen Fachsprachen der Didaktiken und auf eingeschränkte Einblicke in die vielfältigen Fächer und Berufsfelder zurückzuführen sind, für die Lehrkräfte an beruflichen Schulen ausgebildet werden. Diese Schwierigkeiten müssen überwunden werden, um angehenden Lehrkräften in der Hochschulphase in sich schlüssige, vielfältige und für die Unterrichtspraxis relevante Inhalte zu bieten. Am besten gelingt das durch die gemeinsame Gestaltung von Unterrichtsmaterialien, Aus- und Weiterbildungsangeboten und den Austausch, der z. B. bei gemeinsamen Publikationen entsteht.
Produktorientierte Zusammenarbeit
Durch die Einführung des Unterrichtsprinzips Berufssprache Deutsch und eines neuen Lehrplans für Deutsch
durch das Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München (ISB) wird den eingangs genannten
Veränderungen auf curricularer Ebene begegnet und die Position von Sprach- und Kulturvermittlung an bayerischen Berufsschulen gestärkt. Dies bezieht sich sowohl auf den Deutsch- als auch auf den Fachunterricht und insbesondere auf die neu eingerichteten Beschulungsangebote für neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler mit geringen Deutschkenntnissen. Daneben erhalten Lehrkräfte dadurch verstärkt Handwerkszeug für die Gestaltung eines handlungsorientierten und sprachsensiblen Unterrichts, und zwar in Form von Materialien, Methoden und eines anwendungsfreundlichen Lehrplans, der die Arbeit mit Lernszenarien nach dem Prinzip der vollständigen Handlung befördert.
Zielsetzung der ISB-Arbeitskreise zu Berufssprache Deutsch ist es, Lehrkräften exemplarisch Material wan die Hand zu geben, das ihnen den Einstieg in einen handlungsorientierten Unterricht mit der Zielgruppe erleichtert. Beruflich und lebensweltlich realistische Situationen, die die Schülerinnen und Schüler zum Handeln motivieren, werden mit entsprechendem Informationsmaterial und zusätzlich mit Übungsmaterial auf jeweils drei verschiedenen Niveaus verknüpft, um den Lernenden den Einstieg in die sowie den Umgang mit der Situation sprachlich zu ermöglichen. Auch in diesem Fall erweist sich die Zusammenarbeit an einem konkreten Produkt als dankbar. Denn unabhängig davon, wie lange die Autorenteams darüber diskutierten, welche inhaltlichen Aspekte, Hilfsmittel, Methoden oder Übungsformate zur Erreichung welcher Lernziele geeignet sind, bereitete das Fertigstellen von Unterrichtsmaterialien meist viel Freude.
Die Materialien, die von Sprachdidaktikern und Lehrkräften, die alle über gefestigte Erfahrungen im Unterrichten der Zielgruppe verfügen, gemeinsam entwickelt und von Fachdidaktikern abgenommen werden, sollen als Muster dienen und zur eigenen Materialentwicklung anregen. Die Herausforderung bei dieser Art der interdisziplinären Zusammenarbeit liegt in der Berücksichtigung unterschiedlicher Qualitätskriterien: Das ist einmal die lerntheoretische Fundierung von Konzept und Materialien, die der Sprach- und Fachdidaktik wichtig ist (in diesem Fall handelt es sich um einen konstruktivistischen Ansatz, der das berufspädagogische Konzept der vollständigen Handlung fokussiert), sowie deren Praktikabilität, die wiederum für die Lehrkräfte an erster Stelle steht.
Multiperspektivische Betrachtung
Alle Materialien sind so angelegt, dass sie den Lehrkräften in der Praxis auf überzeugende Art den Umgang mit der extremen Heterogenität der Schülerinnen und Schüler erleichtern und ihnen einen Weg eröffnen, diese fachübergreifend immer gleichzeitig sprachlich, methodisch und inhaltlich zu fördern. Sprach- und Fachdidaktik sowie Berufspädagogik sehen hier viele ihrer Anforderungen erfüllt: Teilnehmer- und Handlungsorientierung, Binnendifferenzierung und integrierte Grammatikvermittlung sowie die Auseinandersetzung mit einer Textsorte (Bedienungsanleitung) und Inhalten (Kaffee, Maschinen, die gemeinsame Einnahme von Getränken oder Speisen), die für das Berufsfeld „Ernährung und Hauswirtschaft“ sehr relevant sind. All dies sprachsensibel unter Berücksichtigung der Phasen der vollständigen Handlung umgesetzt.
Praktikable Lösungen entstehen oft erst nach mehreren Bearbeitungsschleifen. Besonders für Lehrkräfte, die junge Geflüchtete auf ihr berufliches Leben in Deutschland vorbereiten, stellt die gefühlte Schere zwischen praktischer Umsetzbarkeit und theoretischem Anspruch die größte Herausforderung dar. Während einerseits wohl niemand die Sinnhaftigkeit des Lernens im Kontext einer vollständigen Handlung bestreitet, sehen sich andererseits viele Lehrkräfte vor das Problem der Umsetzbarkeit gestellt. So besteht vonseiten der Lehrkräfte häufig eine grundsätzliche Skepsis gegenüber dem Einsatz von Lernszenarien für den Unterricht mit Sprachanfängern. Wie sollen lernungewohnte Schülerinnen und Schüler, die oft erst kürzlich alphabetisiert wurden bzw. aus völlig unterschiedlichen Lernzusammenhängen kommen, möglichst schnell und effektiv an selbst organisiertes Lernen herangeführt werden? Wie können sie mit geringen Deutschkenntnissen komplexe Aufgabenstellungen verstehen und bearbeiten? Wie werden lernkulturelle Hintergründe angemessen berücksichtigt? Eine Antwort darauf sind sicher die zur Verfügung gestellten Übungsmaterialien und Zusatzkarten, die in einem klassischen Lernszenario nicht vorgesehen sind. Trotzdem ergeben sich hier neue Herausforderungen, für die sich die Unterrichtspraxis neben konkreten Veranschaulichungen und methodischer Unterstützung auch empirische Wirksamkeitsüberprüfung wünscht. Denen wiederum müssen sich Sprach- und Fachdidaktiken stellen.
Lessons Learned
Die Förderung sprachlicher Kompetenzen wird auch in Zukunft zum Bildungsauftrag beruflicher Schulen gehören. Um Lehrkräfte bei dieser wichtigen Aufgabe zu unterstützen, ist die Zusammenarbeit von Sprachlehr- und -lernforschung, Fachdidaktiken und erfahrenen Lehrkräften unerlässlich. Aufgrund unterschiedlicher Erfahrungswerte und Prioritäten bedarf sie einer wertschätzenden Öffnung für neue Blickwinkel. Die Bereitschaft, gemeinsam neue Angebote zu gestalten, aus unterschiedlichen Perspektiven zu reflektieren und zu multiplizieren, trägt dazu bei, eine Art von Unterrichtsentwicklung zu betreiben, die für alle gewinnbringend ist.
Dieser Artikel ist in leicht veränderter Form zuvor in der Publikation Blick zurück nach vorn erschienen.
Autorinnen
Dr. Elisabetta Terrasi-Haufe ist Sprachwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Sprachlehr- und -lernforschung
am Institut für Deutsch als Fremdsprache der Ludwig-Maximilians-Universität München und koordiniert seit 2014 das Projekt Bildungssprache Deutsch für berufliche Schulen.
Eva Gahl unterrichtet im fünften Jahr in der Berufsschulvorbereitung junger Geflüchteter und hat als Mitglied in ISB-Arbeitskreisen zur Umsetzung des Konzepts „Berufssprache Deutsch“ an der Entwicklung von Materialien für den Unterricht mit neu zugewanderten Schülerinnen und Schülern beigetragen.
Susanne Miesera unterrichtet an der School of Education der Technischen Universität München in der Fachdidaktik Ernährungs- und Hauswirtschaftswissenschaften. Dort bietet sie seit 2012 im Wahlfachbereich die Lehrveranstaltung „Neue Konzepte zur Stärkung der Deutschkompetenz“ an.