
Forschen auf Distanz
Auch in Coronazeiten setzen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Mercator-Institut ihre Arbeit in Forschungsprojekten fort. Wie das in dem Projekt COLD konkret aussieht, welche Herausforderungen sich durch die Pandemie ergeben haben und welche Chance für Verbundprojekte daraus erwächst, erzählt Dr. Stefanie Bredthauer, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Mercator-Instituts, im Interview.
Du untersuchst gemeinsam mit mehreren Kolleginnen und Kollegen die professionellen Kompetenzen von Lehrkräften in Schule und Erwachsenenbildung beim Unterrichten von Deutsch als Zweitsprache. Was hat sich durch das Coronavirus an eurer Arbeit verändert?
Am stärksten beeinflusst unsere Forschung, dass wir derzeit keine weiteren Daten erheben können. Um die Kompetenzen von Lehrkräften beim Unterrichten von Deutsch als Zweitsprache zu untersuchen, besuchen wir sie in den Schulen und den Bildungseinrichtungen der Erwachsenenbildung, zum Beispiel Volkshochschulen. Wir zeichnen beispielsweise ihren Unterricht per Video auf und führen Interviews mit ihnen – wir erheben also Daten vor Ort. Als die Coronapandemie anfing um sich zugreifen, befanden wir uns mitten in der Pilotierungsstudie. In der Schule hatten wir die Datenerhebung gerade abgeschlossen, danach wollten wir mit den Integrationskursen an Volkshochschulen weitermachen. Da das derzeit nicht möglich ist, verzögert sich alles und wir können unsere Pilotierungsstudie vorerst nicht abschließen.
Wie geht ihr im Projekt mit dieser Herausforderung um?
Glücklicherweise liegen uns die Daten aus der Schule vor und wir versuchen, alle möglichen Arbeitsschritte vorzuziehen und umzuschichten. Eigentlich wollten wir erst die Erhebung in den Schulen und Einrichtungen der Erwachsenenbildung abschließen, bevor wir anfangen, die Pilotierungsdaten auswerten. Um die Wartezeit zu überbrücken, haben wir nun geschaut, was wir für die Schule separat aus der Pilotierung auswerten können. Wir haben zum Beispiel geprüft, ob und wenn wie wir unsere Erhebungsinstrumente für die Hauptstudie überarbeiten müssen. Aber da bleiben natürlich Fragen offen. Denn nur weil die Erhebungsinstrumente in der Schule in einer bestimmten Form funktioniert haben, bedeutet das nicht, dass das auch in der Erwachsenenbildung gleichermaßen gelingt. Eine abschließende Auswertung der Pilotierungsdaten können wir folglich erst vornehmen, wenn die Pilotstudie auch in der Erwachsenenbildung gelaufen ist. Die zeitliche Verzögerung ist eine große Herausforderung für uns – aber das gilt ja derzeit für alle Forscherinnen und Forscher, die Daten in der Schule und in Bildungsinstitutionen erheben. Und glücklicherweise haben sich manche Arbeitsprozesse durch die Pandemie auch nicht verändert.
Welche sind denn gleich geblieben?
Die Zusammenarbeit mit den Verbundpartnern hat sich nicht verändert. In COLD kooperieren wir mit mehreren Partnern an unterschiedlichen Standorten in ganz Deutschland, aber auch in der Schweiz. Deswegen waren wir glücklicherweise schon ganz gut darauf eingestellt, über Distanz miteinander zu arbeiten. Viele unserer Projekttreffen haben bereits vor der Coronapandemie per Skype stattgefunden, damit nicht immer alle anreisen müssen, sondern wir uns auch kurzfristig zu Daten austauschen oder uns besprechen können, wenn es einen Stolperstein im Projekt gibt. Vorteilhaft für die jetzige Situation war auch, dass unser kompletter Datenaustausch in dem Projekt cloudbasiert läuft – egal ob es sich um Forschungsdaten handelt, um Präsentationen für einen Vortrag oder die Flyer für die Akquise der Bildungsinstitutionen. So war es uns möglich, relativ unkompliziert vom Büro ins Homeoffice zu wechseln, weil ohnehin schon alles digitalisiert war.
Im COLD-Team arbeiten mehrere Kolleginnen und Kollegen des Mercator-Instituts. Wie habt ihr die Zusammenarbeit innerhalb eures Teams organisiert, nachdem eine Zusammenarbeit vor Ort derzeit nicht mehr möglich ist?
Wir haben weiterhin einen wöchentlichen Jour fixe. Den haben wir vor der Coronapandemie meistens in Präsenz abgehalten und nur in Ausnahmefällen online. Nun sind virtuelle Besprechungen der Regelfall geworden.
Und wie funktioniert das?
Wir werden von Woche zu Woche routinierter. Bevor wir in die inhaltliche Arbeit einsteigen, nehmen wir uns zunächst 5 bis 10 Minuten Zeit, um beispielsweise zu besprechen, wie es uns in der Situation geht und wie wir uns mit dem Arbeitsplatz zu Hause zurechtfinden. Das ist meiner Meinung nach wichtig, damit es nicht so steril wirkt und man trotzdem weiterhin eine angenehme Arbeitsatmosphäre schafft, in der sich alle wohlfühlen. So können wir alle besser arbeiten, insbesondere wenn in einem Projekt – wie jetzt aktuell – Hürden entstehen, und sich die Datenerhebung deutlich verzögert.
Worauf achtet ihr noch bei euren Meetings?
Darauf, dass sie nicht zu lang werden. Wir machen zwischendrin kurze Pausen und treffen uns dann wieder vor dem Bildschirm. Außerdem schauen wir, dass die Jour fixes kein Ort für reine Präsentationen werden, sondern wir wirklich gemeinsam arbeiten und Daten auswerten – so wie wir es auch im Büro gemacht hätten. Ab und zu recherchieren wir zum Beispiel während der Onlinebesprechung jeder für sich 10 Minuten, dann führen wir das Meeting fort und tragen die Rechercheergebnisse zusammen. Anfangs war das ungewohnt, aber inzwischen klappt das gut.
An die Pilotierung schließt sich die Hauptstudie an, für die ihr Lehrkräfte an den Schulen und in der Erwachsenenbildung akquirieren müsst. Wie macht ihr das, jetzt wo die Bildungsinstitutionen – wenn überhaupt – nur sehr bedingt geöffnet sind?
Die Akquise muss leider auch pausieren. Anfangs hatten wir die Hoffnung, dass wir die Lehrkräfte und Schulleitungen gut erreichen und sie vielleicht mehr Zeit für Absprachen haben, weil kein Unterricht stattfindet, aber dem war nicht so. Wir haben niemanden erreicht! Dass wir jetzt nicht Akquirieren können, bringt einen Unsicherheitsfaktor für unser Projekt mit, den wir gerne durch solides Planen und frühzeitige Anfragen an die Bildungsinstitutionen mit mehr Sicherheit versehen hätten, aber das lässt sich aktuell leider nicht ändern. Wir werden nicht das einzige Projekt sein, das diese Schwierigkeiten hat. Ich bin gespannt, was sich in der akademischen Welt mit Blick auf die Bildungsforschung verändert und wie sich das auf eine mögliche Verlängerung von Projekten auswirkt.
Neben allen Herausforderungen: Kannst du der jetzigen Situation auch etwas Positives abgewinnen?
Also insgesamt finde ich positiv, dass unsere Arbeit im Forschungsprojekt nicht stockt, sondern aus dem Homeoffice intensiv weitergeht, und wir in einem sehr regen Austausch stehen. Positiv könnte die derzeitige Entwicklung, die uns zwingt, die Arbeit komplett in den virtuellen Raum zu verlegen, für das Ansehen von Forschungszusammenarbeiten über Distanzen sein: Bislang wurde es durchaus auch kritisch gesehen, wenn Forscherinnen und Forscher an verschiedenen Standorten arbeiten und sich hauptsächlich online sehen. Jetzt ist das für alle Projekte – egal ob Verbundprojekt oder nicht – der Regelfall und zeigt, dass es funktioniert!
Dr. Stefanie Bredthauer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Sprache und Lernen am Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Mehrsprachigkeitsdidaktik, Individuelle Mehrsprachigkeit sowie Zweit- und Fremdsprachdidaktik.