
Eine Portion Mut und Rationalität
In der Grundschule lernen alle Kinder lesen und schreiben – allerdings mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen, Methoden und Rahmenbedingungen. Was können Schulen als Ganzes und Lehrkräfte im Unterricht tun, um diesen Prozess zu begleiten? Damit haben sich 200 Schulleitungen und Koordinatoren von Grundschulen und Förderzentren aus Schleswig-Holstein am 23. und 24. Februar bei der landesweiten Konferenz Sprachbildung und Sprachförderung in der Grundschule am Timmendorfer Strand beschäftigt. Eingeladen hatten das Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen in Schleswig-Holstein (IQSH) und das Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache der Universität zu Köln.
PISA – Synonym für ein lernendes Bildungssystem?
„Lesen ist die Schlüsselkompetenz beim Lernen in den Fächern. Eine erfolgreiche Schullaufbahn ist in entscheidender Weise davon abhängig, dass von Beginn an der Schrift-erwerb möglichst optimal gefördert wird“, sagte Dr. Thomas Riecke-Baulecke, Direktor des IQSH zu Beginn. „Wenn es um Sprachförderung geht, kommt man auf politischer Ebene an den PISA-Ergebnissen nicht vorbei“, betonte Bildungsministerin Britta Ernst in ihrer Begrüßung. Aus meiner Sicht ist PISA jedoch kein Synonym für ein gescheitertes, sondern für ein lernendes System.“ Ein gutes Beispiel sei Lesen macht stark - Grundschule: Im Rahmen des Projektes hätten Expertinnen und Experten aus dem IQSH und dem Mercator-Institut gemeinsam mit Lehrkräften ein Diagnostik- und Fördermaterial für den Anfangsunterricht in Schleswig-Holstein entwickelt. „Anstelle eines erbitterten Kampfes um Methoden arbeiten Praxis und Wissenschaft im Projekt eng zusammen“, so die Ministerin.
Welche Methode ist die Richtige?
Kern der Diskussion am ersten Tag war die Frage nach der richtigen Methode für den Anfangsunterricht: Buchstabier- oder Lautiermethode? Lesen durch Schreiben oder Fibellehrgang? Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek, Prof. Dr. Hartmut Günther und Simone Jambor-Fahlen vom Mercator-Institut zeigten anhand einer Reihe empirischer Studien, dass nicht die Methode über den erfolgreichen Schriftspracherwerb entscheidet: „Alle Studien weisen darauf hin, dass sich die Rechtschreibleistungen der Schülerinnen und Schüler am Ende der Grundschulzeit angleichen, unabhängig davon, mit welcher Methode sie Lesen und Schreiben lernen“, so Simone Jambor-Fahlen. Ein besonderes Augenmerk müsse man auf die Schülerinnen und Schüler legen, die schwächere Leistungen zeigen. „Wir wissen aus der Forschung, dass diese Schüler mit strukturierten Formen, zum Beispiel einer Fibel, besser lernen. Methodenvielfalt ist also das Mittel der Wahl“, so das Fazit von Michael Becker-Mrotzek, Direktor des Mercator-Instituts.
Die eigene Arbeit reflektieren
Im Anschluss an die Vorträge warfen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen Blick auf die Stärken und Schwächen der Sprachförderung in ihren eigenen Schulen. „Stimmt, das machen wir an unserer Schule auch“, oder „Das ist ja eine tolle Idee, das nehme ich mit“, waren Sätze, die an diesem Nachmittag über die Gruppentische schallten. Aber auch: „In der Diagnostik sind wir schon richtig gut, aber uns fehlen die Mittel und Kompetenzen für eine gute Förderung“, so die Leiterin einer Grundschule. „Die Kinder in der ersten Klasse können wir gut betreuen, aber uns fehlen die Ressourcen für die älteren Schüler“, gab die Beraterin eines Förderzentrums zu bedenken.
Sprachförderung und Schulentwicklung
Wie Schulentwicklung im Kontext von Schreibförderung gelingen kann, stand im Mittelpunkt des Vortrags am zweiten Tag. Prof. Dr. Afra Sturm, Professorin am Zentrum Lesen der Pädagogischen Hochschule im Schweizerischen Windisch, gab Einblicke in das Zürcher Projekt Quims – Qualität in multikulturellen Schulen. Es verfolgt das Ziel, ein gemeinsames Verständnis von Schreibförderung im Kollegium zu schaffen und die Übergänge zwischen den Bildungsetappen zu verbessern. Die Schulen arbeiten drei Jahre lang an einem konkreten Thema, werden extern begleitet und erhalten Fortbildungen zu den Schwerpunkten basale Schreibfertigkeiten, Schreibstrategien und Schreiben als soziale Praxis. „Die Erfahrungen im Projekt zeigen: Wenn Schulen denken, sie können mehr erreichen, ist auch mehr möglich“, ermutigte Afra Sturm die Lehrkräfte und Schulleitungen. Das sei kein einfacher Prozess, manche Schulen hätten ein Jahr gebraucht, bevor sie losgelegt hätten. „Aber ich kann Sie nur ermutigen, sich auf den Weg zu machen, nicht alles hängt von Ressourcen ab“, schloss Afra Sturm.
Vertrauen in die Schülerinnen und Schüler
Anschließend ging die Diskussion in Foren zu unterschiedlichen Themenfeldern weiter – von Leseflüssigkeit über Deutsch als Zweitsprache bis zu Elternarbeit. „Wirksame Schulleitungen kümmern sich zuallererst um das Lernen der Schüler“, so Dr. Thomas Riecke-Baulecke, Direktor des IQSH im Forum Elternarbeit offensiv gestalten „Aber dazu gehört auch, Eltern in ihrer Bildungsarbeit zu begleiten.“ Wie das aussehen kann, dazu gab es bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmernn schon viele Ideen. „Wir haben die Elternarbeit evaluiert. Jetzt gibt es regelmäßige Treffen, auf denen wir mit externen Experten Fragen diskutieren, mit denen sich Eltern beschäftigen, z. B. wie begleite ich mein Kind durch die Grundschulzeit.“
Im Forum Deutsch als Zweitsprache in der Grundschule beschäftigte die Lehrkräfte und Schulleitungen die Rolle der Erstsprache der Schülerinnen und Schüler. „Wir müssen weg vom Blick auf die Defizite hin zu den Kompetenzen, die mehrsprachige Kinder mitbringen“, sagte eine Teilnehmerin. Wie aber funktioniert das bei vielen unterschiedlichen Herkunftssprachen? „Man muss den Schülern vertrauen. Als Lehrkraft muss ich nicht jedes Wort des Kindes in der Herkunftssprache verstehen, wichtiger ist, dass die Schülerinnen und Schüler zu Experten werden und selbstbewusst mit Sprache umgehen“, so ein Schulleiter.
„Ich würde diese Tagung mit zwei Worten überschreiben: Rationalität und Mut“, sagte Dr. Gertrud Weinriefer-Hoyer, Abteilungsleiterin im Ministerium für Schule und Berufsbildung in der Abschlussrunde. „Rationalität, weil wir den Blick weg von hitzigen Debatten über die Methoden hin zur Förderung der Schülerinnen und Schüler geschafft haben. Und Mut, weil die Vorträge und Workshops gezeigt haben: Wenn Schulen sich etwas zutrauen, werden sie wirksam.“ Thomas Riecke-Baulecke pflichtete ihr bei: „Die Kernfrage für die weitere Arbeit ist, was die Schülerinnen und Schüler lernen. Das ist das wichtigste Kriterium.“