30.03.2020
Bericht

Digitale Medien in der Kita: Förderung von Sprache und literalen Fähigkeiten. Bericht und Materialien zum Praxisworkshop

Wie können Erzieherinnen und Erzieher digitale Medien nutzen, um frühe sprachliche und literale Fähigkeiten bei Kindern zu fördern? Wo liegen Potenziale digitaler Medien und wo ihre Grenzen? Und mit welchen Herausforderungen ist der Einsatz digitaler Medien in der Kita verbunden? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigte sich der Workshop mit dem Titel "Digitale Medien in der Kita", der auf der siebten Jahrestagung des Mercator-Instituts stattfand. Im Rahmen von zwei Teilworkshops haben die Referentinnen und Referenten das Lesen und die Sprachstandsdiagnosemithilfe digitaler Medien beleuchtet, hinterfragt und reflektiert. 

Im Laufe dieses Formats zeigte sich, dass das Angebot digitaler (Vorlese-)Medien für den Einsatz in Kitas sehr groß ist und stetig zunimmt. Die Nutzung dieser Medien ist – darin waren sich Referentinnen, Referenten und Teilnehmende einig – keineswegs ausschließlich kritisch zu sehen, sondern birgt auch viele Chancen für die Förderung sprachlicher und literaler Fähigkeiten: Digitale Medien ermöglichen es Erzieherinnen und Erziehern beispielsweise, den (digitalen) Alltag der Kinder bewusst aufzugreifen und ihn damit in sprachliche Bildungsprozesse einfließen zu lassen. Zudem können pädagogische Fachkräfte mit den digitalen Tools ein erweitertes Spektrum der Sprachbildungsarbeit anbieten und jedes Kind individuell sprachlich fördern. Erzieherinnen und Erzieher haben beispielsweise, wenn sie mit den Kindern eine Bilderbuch-App anschauen, die Möglichkeit, Audiobeiträge, Bilder und Text hinzuzufügen, Anregungen gezielt wegzulassen und entsprechend nach Alter, individueller Neigung oder Sprachkompetenz des Kindes zu differenzieren. Zudem können Erzieherinnen und Erzieher digitale Medien nutzen, um einen Grundstein der Medienmündigkeit zu legen und den Kindern so Kompetenzen mit auf den Weg zu geben, die sie in einer digitalisierten Gesellschaft benötigen. Allerdings – auch das zeigte sich in dem Workshop auf der Jahrestagung – sollte die Einbindung dieser Medien grundsätzlich reflektiert erfolgen und Erzieherinnen sowie Erzieher sollten sie in analoge, pädagogische Angebote einbetten.

Herausforderungen bei der Nutzung digitaler Medien in der Kita

Beim Einsatz digitaler Medien müssen pädagogische Fachkräfte darüber hinaus bedenken, dass diese in der Kita an Grenzen stoßen können. Laut der Referentin Melanie Würtz (Stiftung Lesen) ist beispielsweise der Konsum dieser Medien für Kinder unter zwei Jahren nicht zu empfehlen, da die kognitive Entwicklung der Kinder noch nicht entsprechend fortgeschritten ist, um alle Informationen verarbeiten zu können. Zudem fehlen Forschungsergebnisse in diesem Bereich, um fundierte Aussagen machen zu können, wie sich die Mediennutzung in diesem Alter auswirkt. Hinzu kommen Herausforderungen, wie die mangelnde technische Ausstattung von Kitas und die unzureichende Ausbildung entsprechender Medienkompetenzen der pädagogischen Fachkräfte. Insgesamt zeigte sich in dem Workshop, dass es auch kritische Aspekte gibt und sich digitale Medien teilweise nur schwer in den Kita-Alltag einbinden lassen. Zudem stellen einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler deren Nutzen gegenüber den herkömmlichen analogen Papierformaten infrage. 

Digitale Medien als gute Ergänzung, aber nicht als Ersatz 

Dem Referenten Prof. Dr. Jörg Roche (Ludwig-Maximilians-Universität München) zufolge sollten Erzieherinnen und Erzieher digitale Medien an den Stellen einsetzen, an denen es sinnvoll erscheint. Für den Bereich der Kita gilt es, diesen Einsatz in Maßen und in Kombination mit anderen pädagogischen Angeboten zu gestalten. Denn obwohl Digitales momentan „in aller Munde“ ist und sich jeder Lebensbereich mehr und mehr dem Digitalen zuwendet, macht es keinen Sinn, alle Bildungsbereiche zu digitalisieren. Kinder benötigen in ihrer frühen Entwicklung vor allem haptische Erfahrungen, um auf dieser Basis die digitalen Eindrücke verarbeiten und einordnen zu können. Wie sollen Kinder digital Gras erspüren und den Matsch auf der Wiese in einer digitalen App nachvollziehen, wenn sie diese Erfahrungen nie in der realen Welt gemacht haben? Auch die Frage, ob digitale Medien immer einen Mehrwert bereithalten müssen oder ob sie nicht einfach zur Lebenswirklichkeit der Kinder gehören, diskutierten die Teilnehmenden rege. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass digitale Medien eine gute Ergänzung darstellen können, aber kein Ersatz für wichtige Erfahrungen außerhalb der virtuellen Welt sind. 

Sprachstandsdiagnose mittels digitalem Spiel

Im zweiten Teil des Workshops griffen die Referentinnen und Referenten den Teilbereich der Sprachstandsdiagnose heraus und diskutierten die Potenziale eines serious-game-basierten Sprachstandfeststellungsverfahrens für den Bereich der Kita. Jörg Roche und Dr. Nicole Weidinger (Ludwig-Maximilians-Universität München) stellten ihr Projekt zur Sprachstandsermittlung bei Kindern mit Migrationshintergrund vor. Sie zeigten, wie es gelingen kann, durch ein Tablet-Spiel ein standardisiertes Setting zu erschaffen, in dem der Sprachstand von vier- bis sechsjährigen Kindern ermittelt werden kann. Das Verfahren bietet viele Möglichkeiten, da die Kinder durch den Charakter des serious-game in die Geschichte des Hundes Wuschel involviert werden. Wuschel muss seiner Freundin Rita helfen. In dem Spiel redet das Kind mit dem Hund und gibt ihm Tipps, wie er beispielsweise den verschwundenen Hut oder den Zauberstab seiner Freundin finden kann. Alle so gesammelten Sprachdaten werden automatisch gespeichert und extern an der Universität von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ausgewertet. Die pädagogischen Fachkräfte erhalten bei diesem Sprachstandfeststellungsverfahren ausschließlich die Aufgabe, das Kind zu begleiten, es in die Situation und seine Aufgaben einzuführen und die Geschichte über die Handy-App zu bedienen. 

Der Vorteil dieses digitalen Tools ist es, dass es sich dabei nicht um eine klassische Testsituation handelt, in der das Kind nervös ist, sondern es davon ausgeht, dass es einfach ein Spiel spielt. Die Forscherinnen und Forschern haben mit dem Verfahren die Erfahrung gemacht, dass die Kinder sehr viel sprechen und eher spontansprachlich agieren. So hat sich bereits gezeigt, dass Kinder mit Deutsch als Zweitsprache im Grunde viel mehr reden, als es die Forschung bisher erkannt hat. Zudem lässt sich das Verfahren gut in den pädagogischen Alltag integrieren, da die Auswertung vollständig extern übernommen wird und der zeitliche und personelle Aufwand gering bleibt. Das Verfahren wird derzeit pilotiert und normiert. 

Bedarf an Qualifizierungsangeboten und didaktischen Anleitungen

Mit Blick auf die Bedarfe zeigte sich in dem Workshop, dass es an den Kitas noch zu wenig Professionalisierungsmöglichkeiten für pädagogische Fachkräfte im Hinblick auf den Einsatz digitaler Medien für die sprachliche Bildung gibt. Es fehlt zudem an didaktischen Anleitungen zum Einsatz digitaler Medien in der Kita, die – laut den Teilnehmenden – dringend entwickelt und erprobt werden müssten.

Autorin: Marlen Wendland ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an Mercator-Institut. Sie arbeitet in der Bund-Länder-Initiative Bildung durch Sprache und Schrift (BiSS) und ist dort vor allem im Bereich der Blended-Learning-Fortbildungen mit dem Schwerpunkt Elementarbereich tätig. Zudem betreut sie den Kita-Master.