26.04.2022
Basiswissen

Alltagsintegrierte sprachliche Bildung

Was versteht man unter einer alltagsintegrierten sprachlichen Bildung? Wie grenzt sie sich von additiven Sprachförderformaten ab und wie können pädagogische Fachkräfte sie in alltäglichen Situationen einbinden? Darüber informiert dieses Basiswissen.

Definition

Unter alltagsintegrierter sprachlicher Bildung wird die systematische Unterstützung und Begleitung der Sprachentwicklung von Kindern in Einrichtungen der frühen Bildung, wie beispielsweise Kindertageseinrichtungen (KiTas) und Kinderkrippen, verstanden.

Sprachliche Bildung als Bestandteil der frühen Bildung

In den letzten beiden Jahrzehnten hat die Förderung des kindlichen Spracherwerbs und der Sprachentwicklung in Bildungskontexten stark an Bedeutung gewonnen. Nicht zuletzt die Ergebnisse der PISA-Studien – die gezeigt haben, dass zwischen lesestarken und leseschwachen Schülerinnen und Schülern in Deutschland ein großer Unterschied besteht und dass die Leistungen stark mit den sozialen Verhältnissen sowie den jeweiligen Sprachkenntnissen zusammenhängen – fachten die Debatte um die sprachliche Bildung im Elementar- und Primarbereich an und erhöhten ihren Stellenwert. Denn eine gut ausgebildete Sprachkompetenz von Kindern und Jugendlichen ist eine maßgebliche Voraussetzung für einen erfolgreichen Bildungsweg und für gesellschaftliche Teilhabe. Vor diesem Hintergrund wurde im Elementarbereich die alltagsintegrierte sprachliche Bildung als fester Bestandteil und Aufgabe der frühen Bildung etabliert, um die Chancengleichheit zu erhöhen. Damit ist gemeint, dass alle Kinder aller Altersstufen in ihrer Sprachentwicklung in Einrichtungen wie KiTas und Kinderkrippen systematisch unterstützt werden. Bei der alltagsintegrierten sprachlichen Bildung handelt es sich um einen Oberbegriff, der alle Handlungen von pädagogischen Fachkräften umfasst, die die Sprachaneignung der Kinder in den jeweiligen Einrichtungen betreffen und unterstützen. Darunter wird eine Förderung aller Sprachen aller Kinder verstanden, auch wenn in vielen Einrichtungen nach wie vor hauptsächlich die deutsche Sprache berücksichtigt wird (Lengyel, 2017, S. 281).

Abgrenzung zu additiven Sprachförderformaten

Alltagsintegrierte sprachliche Bildung wird von additiver Sprachförderung und Sprachtherapie abgegrenzt. Additive Förderformate beziehen sich auf die Förderung punktuell ausgewählter sprachlicher Kompetenzen und sind meist zeitlich sowie auf einzelne Kinder oder Kleingruppen begrenzt (Jungmann, Morawiak & Meindl, 2015, S. 39). Sprachtherapie – auch Logopädie genannt – wird wiederum von dafür ausgebildeten Expertinnen und Experten durchgeführt und bezieht sich auf die Behandlung einer diagnostizierten Störung des Sprechens, des Hörens oder des Schluckens.

In der alltagsintegrierten sprachlichen Bildung geht es darum, im Alltag Situationen zu schaffen, die eine ganzheitliche sprachliche Unterstützung und Anregung für alle Kinder bedeuten. Mittlerweile ist belegt, dass eine systematisch durchgeführte alltagsintegrierte Sprachbildung einen förderlichen Effekt auf die Sprachentwicklung von Kindern hat – mehr noch als additive und punktuelle Förderformate (Wildemann & Fornol, 2016, S. 69; Coos, Koch, Mähler & von Salisch, 2019, S. 13). Letztere haben aber dennoch ihre Berechtigung und Wichtigkeit, da eine alltagsintegrierte Sprachförderung derzeit noch selten stattfindet und tatsächlich nur dann ihre Wirkung entfalten kann, wenn sie systematisch angewendet und gut gemacht wird.

Situationen der alltagsintegrierten sprachlichen Bildung

Die alltagsintegrierte sprachliche Bildung findet meist in alltäglichen Situationen statt: während des Anziehens, des Wickelns, während der Malzeiten, genauso wie in geplanten Bildungs- oder Freispielsituationen. Wann immer sich Sprechanlässe finden, können pädagogische Fachkräfte diese aufgreifen und zur sprachlichen Bildung nutzen.

So geben sie beispielsweise in Wickelsituationen individuell an das Kind angepasste Anregungen – entweder durch Sprachspiele, Lieder oder aber durch handlungsbegleitendes Sprechen: „So, jetzt ziehen wir die Socken an – erst über den linken Fuß und dann über den rechten.“ Auch beim Anziehen bietet es sich an, durch offene Fragen Gespräche mit den Kindern zu initiieren: „Was müssen wir alles anziehen, wenn es draußen regnet?“ „Was kannst du schon alleine anziehen?“ Genauso können pädagogische Fachkräfte Vor- lesesituationen durch die Methode des Dialogischen Lesens sprachförderlich gestalten, indem sie mit den Kindern über Einzelheiten der Geschichte sprechen, offene Fragen stellen und das Buch zum Anlass für Dialoge nehmen. Auch eine Freispielsituation bietet viele Gelegenheiten, längere Dialoge mit einem Kind oder mehreren Kindern zu führen.

Voraussetzungen der alltagsintegrierten sprachlichen Bildung

Die professionelle Arbeitsgrundlage von pädagogischen Fachkräften bei der alltagsintegrierten sprachlichen Bildung sind die systematische Beobachtung, Dokumentation und Reflexion des Sprachstandes eines Kindes. Daher ist es wichtig, zunächst die Sprachkompetenzen der Kinder zu erfassen, um in alltäglichen Situationen individuell auf die Kinder eingehen zu können. Dafür können die pädagogischen Fachkräfte auf verschiedene formelle Verfahren (z. B. Screenings und Tests) und informelle Verfahren (z. B. Beobachtungsverfahren und Profilanalysen), aber auch selbst erstellte Beobachtungstabellen zurückgreifen. Die diagnostischen Informationen ermöglichen es, bestimmte Teilbereiche der Sprachkompetenz der Kinder gezielt in den Blick zu nehmen, diese in alltäglichen Situationen anzuregen und die Fortschritte der Kinder zu dokumentieren.

Die Qualität der alltagsintegrierten Sprachbildung hängt maßgeblich mit der Sprachförderkompetenz der Fachkräfte zusammen. Um diese zu vertiefen und das eigene sprachliche Handeln zu reflektieren, sind entsprechende Qualifizierungen und Professionalisierungsangebote sowie der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen von Bedeutung (Wildemann & Fornol, 2016, S. 77; Lengyel, 2017, S. 280).

Das Basiswissen Alltagsintegrierte sprachliche Bildung als Download.

Autorin

Marlen Wendland

Diese Publikation darf, unter Einhaltung der gängigen Zitierregeln und mit Angabe der Quelle, gern weiterverwendet werden: Wendland, Marlen (2022): Alltagsintegrierte sprachliche Bildung. Köln: Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache (Basiswissen sprachliche Bildung).

Literatur

Cloos, Peter; Koch, Katja; Mähler, Claudia & von Salisch, Maria (2019). Professionalisierung alltagsintegrierter sprachlicher Bildung bei ein- und mehrsprachig aufwachsenden Kindern: Fühlen – Denken – Sprechen. In BiSS-Trägerkonsortium (Hrsg.), Projektatlas BiSS-Entwicklungsprojekte. Ergebnisse und Empfehlungen. Köln: Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache, S. 11–17. DOI: 10.3278/6004760w

Jungmann, Tanja; Morawiak, Ulrike & Meindl, Marlene (2015). Überall steckt Sprache drin. Alltagsintegrierte Sprach- und Literacy-Förderung für 3- bis 6-jährige Kinder. München u. a.: Ernst Reinhardt Verlag.

Lengyel, Drorit (2017). Alltagsintegrierte Sprachbildung im Elementarbereich. In M. Becker-Mrotzek & H.-J. Roth (Hrsg.), Sprachliche Bildung – Grundlagen und Handlungsfelder. Münster u. a.: Waxmann, S. 273–285.

Wildemann, Anja & Fornol, Sarah (2016). Sprachsensibel unterrichten in der Grundschule. Anregungen für den Deutsch-, Mathematik- und Sachunterricht. Seelze: Kallmeyer in Verbindung mit Klett.>

Weiterführende Literatur/Informationen

Koch, Katja; von Dapper-Saalfels, Tina; Mackowiak, Katja; Beckerle, Christine; Löffler, Cordula; Pauer, Ina & Heil, Julian (2018). allE – Gelingensbedingungen alltagsintergrierter sprachlicher Bildung im Elementarbereich. In S. Henschel, S. Gentrup, L. Beck & P. Stanat (Hrsg.), Projektatlas Evaluation. Erste Ergebnisse aus den BiSS-Evaluationsprojekten. Berlin: BiSS Trägerkonsortium. Verfügbar unter: https:// biss-sprachbildung.de/pdf/biss-website-projektatlas-evaluation.pdf, S. 22–24. [07.01.2021]>