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19. September 2022Aktuelles

Systematisches Review weist Wirksamkeit sprachsensiblen Unterrichts nach

Vergleichende Schulleistungsstudien zeigen immer wieder, dass das fachliche Lernen in der Schule eng mit sprachlichen Kompetenzen zusammenhängt. Nur wer lesen und schreiben kann, ist auch in der Lage, Inhalte zu verstehen. Um alle Schülerinnen und Schüler bestmöglich sprachlich zu unterstützen und ihnen eine erfolgreiche Schullaufbahn zu ermöglichen, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den vergangenen Jahren fortlaufend Konzepte entwickelt, die eine sprachliche Förderung in jedem Unterricht vorsehen. Solche Konzepte werden unter dem Begriff sprachsensibler Fachunterricht zusammengefasst. Obwohl das Ziel, sprachsensibel zu unterrichten, zunehmend in Lehrpläne, Curricula sowie Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen von Lehrkräften übernommen wurde, ist bisher unklar, wie wirksam Ansätze des sprachsensiblen Unterrichts tatsächlich sind.

Forschende des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache haben in einem systematischen Review nun erstmals den internationalen Forschungsstand zur Wirksamkeit sprachsensiblen Unterrichts zusammengetragen und bewertet. Konkret haben sie untersucht, ob vorliegende Studien zu dem Ergebnis kommen, dass Schülerinnen und Schüler des Primar- oder Sekundarbereichs, die sprachsensibel unterrichtet werden, bessere sprachliche oder fachliche Lernziele erreichen als Kinder und Jugendliche, die nicht sprachsensibel unterrichtet werden. Das Fazit: Sprachsensible Ansätze zeigen überwiegend bessere Effekte als der herkömmliche Unterricht.

Für ihre Suchstrategie legten die Forschenden – entsprechend der standardisierten Methodik systematischer Reviews – in einem Protokoll zunächst Kriterien, Suchbegriffe und Bewertungskategorien fest. So berücksichtigten sie beispielsweise nur Studien mit Schülerinnen und Schülern der Primar- und Sekundarstufe, in denen ein sprachsensibler Unterrichtsansatz mit einem anderen, nicht-sprachsensiblen Ansatz oder mit dem Regelunterricht verglichen wurde. Mittels einer Suche in elektronischen Literaturdatenbanken, aber auch durch gezielte Konsultation von Expertinnen und Experten sowie durch die Suche in einschlägigen Fachzeitschriften und grauer Literatur, identifizierte das Projektteam im ersten Schritt mehr als 4.000 wissenschaftliche Publikationen. In einem aufwendigen, durch verschiedene Qualitätstests begleiteten mehrstufigen Verfahren filterten sie schließlich 53 Studien heraus, die sie in die Synthese einschlossen (siehe Abbildung).

Neben der Erkenntnis, dass der sprachsensible Fachunterricht im Vergleich zum nicht-sprachsensiblen Fachunterricht im Gesamtüberblick der empirischen Daten bessere oder genauso gute Effekte auf das fachliche und/oder sprachliche Lernen belegt, zeigt die Auswertung der Publikationen, dass es nicht den sprachsensiblen Unterricht gibt: Die Forschenden identifizierten insgesamt 30 verschiedene sprachsensible Ansätze, von denen einige Ansätze bereits durch mehrere Studien, andere jedoch nur durch eine Studie überprüft worden sind. Auch mit Blick auf die Qualität und die Schwerpunkte der Studien – mal lag dieser auf dem Schreiben, mal auf dem Wortschatz, dem Lesen oder auf mehreren sprachlichen Bereichen – zeigte sich ein sehr heterogenes Bild, was die Vergleichbarkeit und das Ableiten allgemeingültiger Aussagen erschwert.

Eindeutig fiel das Ergebnis in den Studien zum Scaffolding-Ansatz aus, bei dem die Lehrperson im Unterricht gezielt und situativ sprachliche Mittel bereitstellt, indem sie z. B. förderliche Lern- und Arbeitsformen auswählt oder Lernenden zusätzliche Materialien oder Formulierungsvorschläge als eine Art Baugerüst bereitstellt. Hier zeigte sich eine positive Wirkung sowohl auf das Fachlernen als auch auf das Sprachlernen. Dasselbe konnte das Projektteam beim Translanguaging-Ansatz nachweisen, bei dem mehrsprachige Lernende für die Erledigung von Aufgaben nicht nur die Unterrichtssprache nutzen, sondern auch andere Sprachen, die sie beherrschen, beispielsweise ihre Erstsprache. Die Studienergebnisse zu SIOP (Sheltered Instruction Observation Protocol), das 30 didaktisch-methodische Prinzipien zur Einbeziehung der Förderung von akademischer Sprache in den Fachunterricht umfasst, sind weniger eindeutig. Zum Beispiel ist eine positive Wirkung nicht für alle Sprachbereiche nachgewiesen.


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